VIII. Lichtstrahlen -- ein Sonderling -- Wechsel der Stimmungen.
Eifersucht, und ihr Auge glänzte, wenn Andere sie auch schön und liebenswürdig fanden.
Aus meiner Sammlung von Sammlern will ich doch eines Sonderlings Erwähnung thun, der sich in derselben Pension angesiedelt hatte. Er stand in mittlerem Lebens- alter, sah gesund aus und war auch, wie er selbst sagte, nur in mäßigem Grade körperlich leidend, dennoch hatte er sich schon seit Jahren zurückgezogen. Ich habe meinen Beruf ver- fehlt, gestand er mir einst. Mein Unstern wollte, daß ich ein Fach ergriff, für das ich nicht tauge. Das meinige beruht auf einer halb mechanischen und halb geistigen Thätigkeit, seine geschäftliche Grundlage ist eine eigenthümlich schwan- kende, die Unternehmungen sind langathmiger Natur und verlangen viel Kaltblütigkeit, Beständigkeit, Geduld, Selbst- vertrauen, alles Eigenschaften, an denen es mir gebricht, ge- rade für die wichtigsten Entscheidungen darin gibt es keine festen, zu erlernenden Normen, sie sind nicht auf einen reinen Verstandescalcül gestellt, sondern, wenn ich so sagen darf, auf den praktischen Instinct, auf allgemeine Anschauungen und "Stimmungen". Stimmungen wechseln nun zwar in ge- wissem Grade bei jedem Menschen, ich gehöre aber unter die, bei welchen sie durch alle Nüancen vom lieblichsten Rosenroth bis in's Aschgrau und Schwarz auf und ab steigen. Welchen Einfluß dieser Wechsel auf mein geschäftliches Gebahren haben mußte, läßt sich leicht ermessen. So oft eine rosenrothe An- schauung mich beherrschte, traf ich Anstalt zu größeren Unter- nehmungen, die immer wieder rückgängig gemacht oder lahm geleitet wurden, sobald die graue Brille sich mir aufklemmte. Unter solchen Umständen hätte ich mich auf einen andren Zweig werfen sollen, konnte aber, als es noch Zeit dazu war, den Entschluß nicht finden, lavirte, experimentirte, dilettändelte hin und her, haderte mit mir selbst und der Welt, verhage- stolzte und hätte eigentlich verdient, alles zu verlieren, was ich besaß; statt dessen ergab sich, daß ich soviel hinzuerworben hatte, um an einen gedeckten Rückzug denken zu können. In
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VIII. Lichtſtrahlen — ein Sonderling — Wechſel der Stimmungen.
Eiferſucht, und ihr Auge glänzte, wenn Andere ſie auch ſchön und liebenswürdig fanden.
Aus meiner Sammlung von Sammlern will ich doch eines Sonderlings Erwähnung thun, der ſich in derſelben Penſion angeſiedelt hatte. Er ſtand in mittlerem Lebens- alter, ſah geſund aus und war auch, wie er ſelbſt ſagte, nur in mäßigem Grade körperlich leidend, dennoch hatte er ſich ſchon ſeit Jahren zurückgezogen. Ich habe meinen Beruf ver- fehlt, geſtand er mir einſt. Mein Unſtern wollte, daß ich ein Fach ergriff, für das ich nicht tauge. Das meinige beruht auf einer halb mechaniſchen und halb geiſtigen Thätigkeit, ſeine geſchäftliche Grundlage iſt eine eigenthümlich ſchwan- kende, die Unternehmungen ſind langathmiger Natur und verlangen viel Kaltblütigkeit, Beſtändigkeit, Geduld, Selbſt- vertrauen, alles Eigenſchaften, an denen es mir gebricht, ge- rade für die wichtigſten Entſcheidungen darin gibt es keine feſten, zu erlernenden Normen, ſie ſind nicht auf einen reinen Verſtandescalcül geſtellt, ſondern, wenn ich ſo ſagen darf, auf den praktiſchen Inſtinct, auf allgemeine Anſchauungen und „Stimmungen“. Stimmungen wechſeln nun zwar in ge- wiſſem Grade bei jedem Menſchen, ich gehöre aber unter die, bei welchen ſie durch alle Nüancen vom lieblichſten Roſenroth bis in’s Aſchgrau und Schwarz auf und ab ſteigen. Welchen Einfluß dieſer Wechſel auf mein geſchäftliches Gebahren haben mußte, läßt ſich leicht ermeſſen. So oft eine roſenrothe An- ſchauung mich beherrſchte, traf ich Anſtalt zu größeren Unter- nehmungen, die immer wieder rückgängig gemacht oder lahm geleitet wurden, ſobald die graue Brille ſich mir aufklemmte. Unter ſolchen Umſtänden hätte ich mich auf einen andren Zweig werfen ſollen, konnte aber, als es noch Zeit dazu war, den Entſchluß nicht finden, lavirte, experimentirte, dilettändelte hin und her, haderte mit mir ſelbſt und der Welt, verhage- ſtolzte und hätte eigentlich verdient, alles zu verlieren, was ich beſaß; ſtatt deſſen ergab ſich, daß ich ſoviel hinzuerworben hatte, um an einen gedeckten Rückzug denken zu können. In
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VIII. Lichtſtrahlen — ein Sonderling — Wechſel der Stimmungen.
Eiferſucht, und ihr Auge glänzte, wenn Andere ſie auch ſchön
und liebenswürdig fanden.
Aus meiner Sammlung von Sammlern will ich doch
eines Sonderlings Erwähnung thun, der ſich in derſelben
Penſion angeſiedelt hatte. Er ſtand in mittlerem Lebens-
alter, ſah geſund aus und war auch, wie er ſelbſt ſagte, nur
in mäßigem Grade körperlich leidend, dennoch hatte er ſich
ſchon ſeit Jahren zurückgezogen. Ich habe meinen Beruf ver-
fehlt, geſtand er mir einſt. Mein Unſtern wollte, daß ich ein
Fach ergriff, für das ich nicht tauge. Das meinige beruht
auf einer halb mechaniſchen und halb geiſtigen Thätigkeit,
ſeine geſchäftliche Grundlage iſt eine eigenthümlich ſchwan-
kende, die Unternehmungen ſind langathmiger Natur und
verlangen viel Kaltblütigkeit, Beſtändigkeit, Geduld, Selbſt-
vertrauen, alles Eigenſchaften, an denen es mir gebricht, ge-
rade für die wichtigſten Entſcheidungen darin gibt es keine
feſten, zu erlernenden Normen, ſie ſind nicht auf einen reinen
Verſtandescalcül geſtellt, ſondern, wenn ich ſo ſagen darf, auf
den praktiſchen Inſtinct, auf allgemeine Anſchauungen und
„Stimmungen“. Stimmungen wechſeln nun zwar in ge-
wiſſem Grade bei jedem Menſchen, ich gehöre aber unter die,
bei welchen ſie durch alle Nüancen vom lieblichſten Roſenroth
bis in’s Aſchgrau und Schwarz auf und ab ſteigen. Welchen
Einfluß dieſer Wechſel auf mein geſchäftliches Gebahren haben
mußte, läßt ſich leicht ermeſſen. So oft eine roſenrothe An-
ſchauung mich beherrſchte, traf ich Anſtalt zu größeren Unter-
nehmungen, die immer wieder rückgängig gemacht oder lahm
geleitet wurden, ſobald die graue Brille ſich mir aufklemmte.
Unter ſolchen Umſtänden hätte ich mich auf einen andren
Zweig werfen ſollen, konnte aber, als es noch Zeit dazu war,
den Entſchluß nicht finden, lavirte, experimentirte, dilettändelte
hin und her, haderte mit mir ſelbſt und der Welt, verhage-
ſtolzte und hätte eigentlich verdient, alles zu verlieren, was
ich beſaß; ſtatt deſſen ergab ſich, daß ich ſoviel hinzuerworben
hatte, um an einen gedeckten Rückzug denken zu können. In
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/271>, abgerufen am 18.07.2024.
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