VIII. Leichtsinniges Briefschuldenmachen -- Imponirenwollen.
-- Du hast Recht, lieber Eduard, werfen wir noch rasch einen Blick in den Bereich. Vorher jedoch noch ein Haupt- stück aus unsrem schwarzen Register, in dem wir fast allzumal Sünder sind: daß wir unsre Lieben daheim oft ungebührlich lange auf Briefe warten lassen. Säumige sollten we- nigstens vorläufig das erste beste Zeitungsblatt unter Kreuz- band nach Hause schicken, damit die Angehörigen aus der Handschrift der Adresse sehen, daß und wo das ferne Familienglied lebt und ihrer gedenkt. Mein erprobtes Mittelchen, um mir selbst leichtsinniges Briefschul- denmachen zu erschweren, will ich doch hier nicht ver- schweigen: ich lege an eine Stelle, auf die täglich mein Blick fallen muß, ein Franco-Couvert mit der betreffenden Adresse und erinnere mich nur eines Falles, daß ich länger als drei Wochen einem solchen unermüdlichen, bescheidenen, stummen, aber darum desto vorwurfsvolleren, ärgerlicheren Mahner widerstanden hätte.
Jüngere Leute, die aus weiter Ferne nach längerer Ab- wesenheit zurückkehren, mißfallen am häufigsten ihren Freunden in der Heimat durch Imponirenwollen. An- statt Fragen abzuwarten und dann bescheiden, sinnig und bündig zu antworten, drängen sie sich hervor mit romantisch ausstaffirten Abenteuern, Jagd- und Räubergeschichten, in denen sie Heldenrollen spielen, mit unzeitigen Kritiken und lieblosen Vergleichen, in ihrer Tracht, vielleicht auch in Brauch und Sitte (schon Addison rügt das) haben sie gutes Heimisches vertauscht gegen fremde Seltsamkeiten und Un- würdigkeiten; Andere brüsten sich mit künstlicher Begeiste- rung, die in banalen Ausrufungen und Augenverdrehungen sich gütlich thut, noch Andere geben auf die höflich theil- nehmende Frage "wo sie denn nun alles waren" die unartigste, undankbarste, langathmigste Antwort: jede Malzeit nach Zeit und Stunde wird erwähnt, jeder Orts- und Wirths- hausname muß herbei. Der Hörer sitzt auf Kohlen, sieht bange nach der Uhr, will abspringen, aufbrechen, der Erzähler
VIII. Leichtſinniges Briefſchuldenmachen — Imponirenwollen.
— Du haſt Recht, lieber Eduard, werfen wir noch raſch einen Blick in den Bereich. Vorher jedoch noch ein Haupt- ſtück aus unſrem ſchwarzen Regiſter, in dem wir faſt allzumal Sünder ſind: daß wir unſre Lieben daheim oft ungebührlich lange auf Briefe warten laſſen. Säumige ſollten we- nigſtens vorläufig das erſte beſte Zeitungsblatt unter Kreuz- band nach Hauſe ſchicken, damit die Angehörigen aus der Handſchrift der Adreſſe ſehen, daß und wo das ferne Familienglied lebt und ihrer gedenkt. Mein erprobtes Mittelchen, um mir ſelbſt leichtſinniges Briefſchul- denmachen zu erſchweren, will ich doch hier nicht ver- ſchweigen: ich lege an eine Stelle, auf die täglich mein Blick fallen muß, ein Franco-Couvert mit der betreffenden Adreſſe und erinnere mich nur eines Falles, daß ich länger als drei Wochen einem ſolchen unermüdlichen, beſcheidenen, ſtummen, aber darum deſto vorwurfsvolleren, ärgerlicheren Mahner widerſtanden hätte.
Jüngere Leute, die aus weiter Ferne nach längerer Ab- weſenheit zurückkehren, mißfallen am häufigſten ihren Freunden in der Heimat durch Imponirenwollen. An- ſtatt Fragen abzuwarten und dann beſcheiden, ſinnig und bündig zu antworten, drängen ſie ſich hervor mit romantiſch ausſtaffirten Abenteuern, Jagd- und Räubergeſchichten, in denen ſie Heldenrollen ſpielen, mit unzeitigen Kritiken und liebloſen Vergleichen, in ihrer Tracht, vielleicht auch in Brauch und Sitte (ſchon Addiſon rügt das) haben ſie gutes Heimiſches vertauſcht gegen fremde Seltſamkeiten und Un- würdigkeiten; Andere brüſten ſich mit künſtlicher Begeiſte- rung, die in banalen Ausrufungen und Augenverdrehungen ſich gütlich thut, noch Andere geben auf die höflich theil- nehmende Frage „wo ſie denn nun alles waren“ die unartigſte, undankbarſte, langathmigſte Antwort: jede Malzeit nach Zeit und Stunde wird erwähnt, jeder Orts- und Wirths- hausname muß herbei. Der Hörer ſitzt auf Kohlen, ſieht bange nach der Uhr, will abſpringen, aufbrechen, der Erzähler
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VIII. Leichtſinniges Briefſchuldenmachen — Imponirenwollen.
— Du haſt Recht, lieber Eduard, werfen wir noch raſch
einen Blick in den Bereich. Vorher jedoch noch ein Haupt-
ſtück aus unſrem ſchwarzen Regiſter, in dem wir faſt allzumal
Sünder ſind: daß wir unſre Lieben daheim oft ungebührlich
lange auf Briefe warten laſſen. Säumige ſollten we-
nigſtens vorläufig das erſte beſte Zeitungsblatt unter Kreuz-
band nach Hauſe ſchicken, damit die Angehörigen aus der
Handſchrift der Adreſſe ſehen, daß und wo das ferne
Familienglied lebt und ihrer gedenkt. Mein erprobtes
Mittelchen, um mir ſelbſt leichtſinniges Briefſchul-
denmachen zu erſchweren, will ich doch hier nicht ver-
ſchweigen: ich lege an eine Stelle, auf die täglich mein Blick
fallen muß, ein Franco-Couvert mit der betreffenden Adreſſe
und erinnere mich nur eines Falles, daß ich länger als drei
Wochen einem ſolchen unermüdlichen, beſcheidenen, ſtummen,
aber darum deſto vorwurfsvolleren, ärgerlicheren Mahner
widerſtanden hätte.
Jüngere Leute, die aus weiter Ferne nach längerer Ab-
weſenheit zurückkehren, mißfallen am häufigſten ihren
Freunden in der Heimat durch Imponirenwollen. An-
ſtatt Fragen abzuwarten und dann beſcheiden, ſinnig und
bündig zu antworten, drängen ſie ſich hervor mit romantiſch
ausſtaffirten Abenteuern, Jagd- und Räubergeſchichten, in
denen ſie Heldenrollen ſpielen, mit unzeitigen Kritiken und
liebloſen Vergleichen, in ihrer Tracht, vielleicht auch in
Brauch und Sitte (ſchon Addiſon rügt das) haben ſie gutes
Heimiſches vertauſcht gegen fremde Seltſamkeiten und Un-
würdigkeiten; Andere brüſten ſich mit künſtlicher Begeiſte-
rung, die in banalen Ausrufungen und Augenverdrehungen
ſich gütlich thut, noch Andere geben auf die höflich theil-
nehmende Frage „wo ſie denn nun alles waren“ die unartigſte,
undankbarſte, langathmigſte Antwort: jede Malzeit nach
Zeit und Stunde wird erwähnt, jeder Orts- und Wirths-
hausname muß herbei. Der Hörer ſitzt auf Kohlen, ſieht
bange nach der Uhr, will abſpringen, aufbrechen, der Erzähler
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/290>, abgerufen am 17.07.2024.
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