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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VIII. Abenteuer -- Reiseberichte -- Zweifel.
faßt aber seinen Arm, wirft verstörte Blicke umher -- "wie
hieß nur in aller Welt das verdammte Nest?" -- und zwingt
sein unglückliches Opfer, abzuwarten, bis er sich aller Namen
entsonnen hat. Er vergißt, daß diese, obwohl sich für ihn
allerhand schöne Erinnerungen an sie knüpfen, dem Hörer
nur leerer Hall und Schall sind. Treffen nun gar zwei
solche Schwärmer, welche dieselbe Tour gemacht haben, zu-
sammen, und überbieten sich in Erinnerungen -- da "wendet
sich der Gast mit Grausen!"

In den Zügen jedes Lesers sehe ich hier ein sympathisches
Lächeln spielen, denn jeder erinnert sich solcher unlieber
Viertelstunden, die sich zu ganzen Abenden ausdehnten. --
Keineswegs leicht ist es übrigens, heimischen Kreisen in einer
befriedigenden Weise seine Reiseerlebnisse vorzutragen, und
ich kann nur rathen, recht sparsam und vorsichtig in Mit-
theilungen zu sein (weit sparsamer und vorsichtiger, als z. B.
ich es gewesen bin), damit dem Erzähler von den Hörern
verziehen wird, daß er etwas voraus hat vor ihnen. Auch
Herrn Urian's Erfahrung im Claudius'schen Liede ist zu
beherzigen.

-- Vater, mahnte ich, in einigen Minuten wird das
Zeichen zur Abfahrt ertönen. Darf ich noch nicht wissen --?

-- Telemach, spielen Sie nicht Komödie mit Ihrem alten
Lehrer, ich entziehe Ihnen sonst die Erlaubniß, sich meinen
Schüler nennen und unser Buch schreiben zu dürfen. Oder
sollten Sie wirklich noch im Dunklen darüber sein, wie ich
die allgemeinen und besonderen Haupt- und Nebenzwecke der
Reise classisicire und welches meine speciellen Anliegen sind?

-- Setzen wir den Fall, ich wäre im Klaren darüber,
wird es auch der Leser sein, der nicht das Glück Ihres per-
sönlichen Unterrichts genossen, sondern sich mit meiner schüler-
haften Wiedergabe begnügen muß?

-- Lassen wir's darauf ankommen. Nur Eins will ich
noch sagen: Jener § 1 des Gesetzbuchs, von dem anfangs
die Rede war, wurde dort erst zur Hälfte mitgetheilt. Der

VIII. Abenteuer — Reiſeberichte — Zweifel.
faßt aber ſeinen Arm, wirft verſtörte Blicke umher — „wie
hieß nur in aller Welt das verdammte Neſt?“ — und zwingt
ſein unglückliches Opfer, abzuwarten, bis er ſich aller Namen
entſonnen hat. Er vergißt, daß dieſe, obwohl ſich für ihn
allerhand ſchöne Erinnerungen an ſie knüpfen, dem Hörer
nur leerer Hall und Schall ſind. Treffen nun gar zwei
ſolche Schwärmer, welche dieſelbe Tour gemacht haben, zu-
ſammen, und überbieten ſich in Erinnerungen — da „wendet
ſich der Gaſt mit Grauſen!“

In den Zügen jedes Leſers ſehe ich hier ein ſympathiſches
Lächeln ſpielen, denn jeder erinnert ſich ſolcher unlieber
Viertelſtunden, die ſich zu ganzen Abenden ausdehnten. —
Keineswegs leicht iſt es übrigens, heimiſchen Kreiſen in einer
befriedigenden Weiſe ſeine Reiſeerlebniſſe vorzutragen, und
ich kann nur rathen, recht ſparſam und vorſichtig in Mit-
theilungen zu ſein (weit ſparſamer und vorſichtiger, als z. B.
ich es geweſen bin), damit dem Erzähler von den Hörern
verziehen wird, daß er etwas voraus hat vor ihnen. Auch
Herrn Urian’s Erfahrung im Claudius’ſchen Liede iſt zu
beherzigen.

— Vater, mahnte ich, in einigen Minuten wird das
Zeichen zur Abfahrt ertönen. Darf ich noch nicht wiſſen —?

— Telemach, ſpielen Sie nicht Komödie mit Ihrem alten
Lehrer, ich entziehe Ihnen ſonſt die Erlaubniß, ſich meinen
Schüler nennen und unſer Buch ſchreiben zu dürfen. Oder
ſollten Sie wirklich noch im Dunklen darüber ſein, wie ich
die allgemeinen und beſonderen Haupt- und Nebenzwecke der
Reiſe claſſiſicire und welches meine ſpeciellen Anliegen ſind?

— Setzen wir den Fall, ich wäre im Klaren darüber,
wird es auch der Leſer ſein, der nicht das Glück Ihres per-
ſönlichen Unterrichts genoſſen, ſondern ſich mit meiner ſchüler-
haften Wiedergabe begnügen muß?

— Laſſen wir’s darauf ankommen. Nur Eins will ich
noch ſagen: Jener § 1 des Geſetzbuchs, von dem anfangs
die Rede war, wurde dort erſt zur Hälfte mitgetheilt. Der

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[277/0291] VIII. Abenteuer — Reiſeberichte — Zweifel. faßt aber ſeinen Arm, wirft verſtörte Blicke umher — „wie hieß nur in aller Welt das verdammte Neſt?“ — und zwingt ſein unglückliches Opfer, abzuwarten, bis er ſich aller Namen entſonnen hat. Er vergißt, daß dieſe, obwohl ſich für ihn allerhand ſchöne Erinnerungen an ſie knüpfen, dem Hörer nur leerer Hall und Schall ſind. Treffen nun gar zwei ſolche Schwärmer, welche dieſelbe Tour gemacht haben, zu- ſammen, und überbieten ſich in Erinnerungen — da „wendet ſich der Gaſt mit Grauſen!“ In den Zügen jedes Leſers ſehe ich hier ein ſympathiſches Lächeln ſpielen, denn jeder erinnert ſich ſolcher unlieber Viertelſtunden, die ſich zu ganzen Abenden ausdehnten. — Keineswegs leicht iſt es übrigens, heimiſchen Kreiſen in einer befriedigenden Weiſe ſeine Reiſeerlebniſſe vorzutragen, und ich kann nur rathen, recht ſparſam und vorſichtig in Mit- theilungen zu ſein (weit ſparſamer und vorſichtiger, als z. B. ich es geweſen bin), damit dem Erzähler von den Hörern verziehen wird, daß er etwas voraus hat vor ihnen. Auch Herrn Urian’s Erfahrung im Claudius’ſchen Liede iſt zu beherzigen. — Vater, mahnte ich, in einigen Minuten wird das Zeichen zur Abfahrt ertönen. Darf ich noch nicht wiſſen —? — Telemach, ſpielen Sie nicht Komödie mit Ihrem alten Lehrer, ich entziehe Ihnen ſonſt die Erlaubniß, ſich meinen Schüler nennen und unſer Buch ſchreiben zu dürfen. Oder ſollten Sie wirklich noch im Dunklen darüber ſein, wie ich die allgemeinen und beſonderen Haupt- und Nebenzwecke der Reiſe claſſiſicire und welches meine ſpeciellen Anliegen ſind? — Setzen wir den Fall, ich wäre im Klaren darüber, wird es auch der Leſer ſein, der nicht das Glück Ihres per- ſönlichen Unterrichts genoſſen, ſondern ſich mit meiner ſchüler- haften Wiedergabe begnügen muß? — Laſſen wir’s darauf ankommen. Nur Eins will ich noch ſagen: Jener § 1 des Geſetzbuchs, von dem anfangs die Rede war, wurde dort erſt zur Hälfte mitgetheilt. Der

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/291>, abgerufen am 24.11.2024.