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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
einen eben so guten Anspruch auf das Stimmrecht oder auf einen
Platz in der Geschworenenbank haben wie die Männer, wird kaum
Jemand zu leugnen vermögen. Die Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika können dieß sicherlich als eine Nation oder Staatsgemein-
schaft nicht bestreiten. Denn ihre demokratischen Jnstitutionen be-
ruhen eingestandenermaßen aus dem jeder Person eigenthümlichen
Anrecht auf eine Stimme in der Regierung. Jhre Unabhängig-
keitserklärung, welche von Männern abgefaßt wurde, die noch jetzt
ihre großen Autoritäten in Fragen des Verfassungsrechtes sind -
jenes Schriftstück, welches von Anfang an die anerkannte Grundlage
ihres öffentlichen Lebens war und immer noch ist, beginnt mit
folgender ausdrücklicher Feststellung:

"Wir halten diese Wahrheiten für von selbst einleuchtend:
daß alle Menschen (all men) gleich geschaffen worden sind; daß
sie ihr Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet
hat, daß zu diesen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück-
seligkeit gehören; daß, um diese Rechte zu schützen, Regierungen
unter den Menschen eingesetzt worden sind, deren rechtmäßige Ge-
walt auf der Zustimmung der Regierten beruht."

Wir glauben nicht, daß ein amerikanischer Demokrat die Trag-
weite dieser Worte durch die der Unredlichkeit oder Unwissenheit
entspringende Ausflucht wird abschwächen wollen, daß "men" in
diesem denkwürdigen Schriftstücke nicht "menschliche Wesen", sondern
blos das eine Geschlecht bezeichne, daß "Freiheit, Leben und das
Streben nach Glückseligkeit" nur der einen Hälfte der menschlichen
Gattung als unveräußerliche Rechte zukommen, und daß die Re-
gierten, deren Einwilligung für die einzige Quelle rechtmäßiger
Gewalt erklärt wird, nur jene Hälfte der Menschheit bedeuten,
welche bisher in ihren Beziehungen zur anderen die Rolle der
herrschenden gespielt hat. Der Widerspruch zwischen Princip und
Praxis läßt sich nicht wegdeuteln. Eine gleiche Untreue gegen die
obersten Grundsätze ihres politischen Glaubensbekenntnisses haben
sich die Amerikaner in dem offenkundigen Falle der Negersclaverei
zu Schulden kommen lassen, und sie lernen jetzt endlich einsehen,
wie schmachvoll dieser Abfall war. Nach einem Kampfe, welcher
in manchem Betrachte den Namen eines heldenmüthigen verdient,
sind nunmehr die Abolitionisten so stark an Zahl und Einfluß
geworden, daß sie gegenwärtig unter den Parteien in den Ver-
einigten Staaten den Ausschlag geben. Und es ziemte sich, daß
die Männer, deren Name mit der Vertilgung der Aristokratie der
Farbe vom demokratischen Boden Amerika's verknüpft bleiben wird,
zu den Urhebern der ersten allgemeinen Auflehnung - in Amerika

Ueber Frauenemancipation.
einen eben so guten Anspruch auf das Stimmrecht oder auf einen
Platz in der Geschworenenbank haben wie die Männer, wird kaum
Jemand zu leugnen vermögen. Die Vereinigten Staaten von Nord-
Amerika können dieß sicherlich als eine Nation oder Staatsgemein-
schaft nicht bestreiten. Denn ihre demokratischen Jnstitutionen be-
ruhen eingestandenermaßen aus dem jeder Person eigenthümlichen
Anrecht auf eine Stimme in der Regierung. Jhre Unabhängig-
keitserklärung, welche von Männern abgefaßt wurde, die noch jetzt
ihre großen Autoritäten in Fragen des Verfassungsrechtes sind –
jenes Schriftstück, welches von Anfang an die anerkannte Grundlage
ihres öffentlichen Lebens war und immer noch ist, beginnt mit
folgender ausdrücklicher Feststellung:

„Wir halten diese Wahrheiten für von selbst einleuchtend:
daß alle Menschen (all men) gleich geschaffen worden sind; daß
sie ihr Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet
hat, daß zu diesen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück-
seligkeit gehören; daß, um diese Rechte zu schützen, Regierungen
unter den Menschen eingesetzt worden sind, deren rechtmäßige Ge-
walt auf der Zustimmung der Regierten beruht.“

Wir glauben nicht, daß ein amerikanischer Demokrat die Trag-
weite dieser Worte durch die der Unredlichkeit oder Unwissenheit
entspringende Ausflucht wird abschwächen wollen, daß „men“ in
diesem denkwürdigen Schriftstücke nicht „menschliche Wesen“, sondern
blos das eine Geschlecht bezeichne, daß „Freiheit, Leben und das
Streben nach Glückseligkeit“ nur der einen Hälfte der menschlichen
Gattung als unveräußerliche Rechte zukommen, und daß die Re-
gierten, deren Einwilligung für die einzige Quelle rechtmäßiger
Gewalt erklärt wird, nur jene Hälfte der Menschheit bedeuten,
welche bisher in ihren Beziehungen zur anderen die Rolle der
herrschenden gespielt hat. Der Widerspruch zwischen Princip und
Praxis läßt sich nicht wegdeuteln. Eine gleiche Untreue gegen die
obersten Grundsätze ihres politischen Glaubensbekenntnisses haben
sich die Amerikaner in dem offenkundigen Falle der Negersclaverei
zu Schulden kommen lassen, und sie lernen jetzt endlich einsehen,
wie schmachvoll dieser Abfall war. Nach einem Kampfe, welcher
in manchem Betrachte den Namen eines heldenmüthigen verdient,
sind nunmehr die Abolitionisten so stark an Zahl und Einfluß
geworden, daß sie gegenwärtig unter den Parteien in den Ver-
einigten Staaten den Ausschlag geben. Und es ziemte sich, daß
die Männer, deren Name mit der Vertilgung der Aristokratie der
Farbe vom demokratischen Boden Amerika's verknüpft bleiben wird,
zu den Urhebern der ersten allgemeinen Auflehnung – in Amerika

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[4/0004] Ueber Frauenemancipation. einen eben so guten Anspruch auf das Stimmrecht oder auf einen Platz in der Geschworenenbank haben wie die Männer, wird kaum Jemand zu leugnen vermögen. Die Vereinigten Staaten von Nord- Amerika können dieß sicherlich als eine Nation oder Staatsgemein- schaft nicht bestreiten. Denn ihre demokratischen Jnstitutionen be- ruhen eingestandenermaßen aus dem jeder Person eigenthümlichen Anrecht auf eine Stimme in der Regierung. Jhre Unabhängig- keitserklärung, welche von Männern abgefaßt wurde, die noch jetzt ihre großen Autoritäten in Fragen des Verfassungsrechtes sind – jenes Schriftstück, welches von Anfang an die anerkannte Grundlage ihres öffentlichen Lebens war und immer noch ist, beginnt mit folgender ausdrücklicher Feststellung: „Wir halten diese Wahrheiten für von selbst einleuchtend: daß alle Menschen (all men) gleich geschaffen worden sind; daß sie ihr Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet hat, daß zu diesen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück- seligkeit gehören; daß, um diese Rechte zu schützen, Regierungen unter den Menschen eingesetzt worden sind, deren rechtmäßige Ge- walt auf der Zustimmung der Regierten beruht.“ Wir glauben nicht, daß ein amerikanischer Demokrat die Trag- weite dieser Worte durch die der Unredlichkeit oder Unwissenheit entspringende Ausflucht wird abschwächen wollen, daß „men“ in diesem denkwürdigen Schriftstücke nicht „menschliche Wesen“, sondern blos das eine Geschlecht bezeichne, daß „Freiheit, Leben und das Streben nach Glückseligkeit“ nur der einen Hälfte der menschlichen Gattung als unveräußerliche Rechte zukommen, und daß die Re- gierten, deren Einwilligung für die einzige Quelle rechtmäßiger Gewalt erklärt wird, nur jene Hälfte der Menschheit bedeuten, welche bisher in ihren Beziehungen zur anderen die Rolle der herrschenden gespielt hat. Der Widerspruch zwischen Princip und Praxis läßt sich nicht wegdeuteln. Eine gleiche Untreue gegen die obersten Grundsätze ihres politischen Glaubensbekenntnisses haben sich die Amerikaner in dem offenkundigen Falle der Negersclaverei zu Schulden kommen lassen, und sie lernen jetzt endlich einsehen, wie schmachvoll dieser Abfall war. Nach einem Kampfe, welcher in manchem Betrachte den Namen eines heldenmüthigen verdient, sind nunmehr die Abolitionisten so stark an Zahl und Einfluß geworden, daß sie gegenwärtig unter den Parteien in den Ver- einigten Staaten den Ausschlag geben. Und es ziemte sich, daß die Männer, deren Name mit der Vertilgung der Aristokratie der Farbe vom demokratischen Boden Amerika's verknüpft bleiben wird, zu den Urhebern der ersten allgemeinen Auflehnung – in Amerika

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/4>, abgerufen am 21.11.2024.