Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.enthalten Lebensregeln, die ich nun seit dreyßig Jahren schon befolgt, und bewährt befunden ha- be. Präge sie dir tief ein, und rufe sie täglich in dein Gedächtniß zurück! Wenn du sie gleich jetzt noch nicht ganz in ihrer Stärke sühlst, und vielleicht noch nicht völlig verstehst, so wirst du doch, wenn Zeit und Erfahrung kommt, sie fassen, und ihren Werth recht schätzen lernen. Jn der Ordnung konnt ich sie nicht niederschreiben, ich hatte zu wenig Zeit dazu, und mein Kopf wird nach und nach durchs Alter schwach. -- Wer weiß, mein Sohn, ob wir uns in diesem Leben wieder- schen? Vielleicht triffst du, wenn du wieder hier ins Kloster kommst, mein Grab an. Denk dann an deinen alten redlichen Freund, wenn du hier allein im Garten gehst; ruf dir seine Lehren zu- rück, und befolg sie! Dadurch ehrt man das Andenken an seine Verstorbenen am besten. Wer- de nicht zu wehmüthig, mein Sohn! Jm Him- mel sehen wir uns wieder, und vielleicht noch ein- mal, wenn es Gottes Will ist, hier im Kloster. Der Gedanke an den Tod hat für mich viel süs- ses. Mach ihn dir zum Freund, und du hast nichts auf der Welt zu fürchten! enthalten Lebensregeln, die ich nun ſeit dreyßig Jahren ſchon befolgt, und bewaͤhrt befunden ha- be. Praͤge ſie dir tief ein, und rufe ſie taͤglich in dein Gedaͤchtniß zuruͤck! Wenn du ſie gleich jetzt noch nicht ganz in ihrer Staͤrke ſuͤhlſt, und vielleicht noch nicht voͤllig verſtehſt, ſo wirſt du doch, wenn Zeit und Erfahrung kommt, ſie faſſen, und ihren Werth recht ſchaͤtzen lernen. Jn der Ordnung konnt ich ſie nicht niederſchreiben, ich hatte zu wenig Zeit dazu, und mein Kopf wird nach und nach durchs Alter ſchwach. — Wer weiß, mein Sohn, ob wir uns in dieſem Leben wieder- ſchen? Vielleicht triffſt du, wenn du wieder hier ins Kloſter kommſt, mein Grab an. Denk dann an deinen alten redlichen Freund, wenn du hier allein im Garten gehſt; ruf dir ſeine Lehren zu- ruͤck, und befolg ſie! Dadurch ehrt man das Andenken an ſeine Verſtorbenen am beſten. Wer- de nicht zu wehmuͤthig, mein Sohn! Jm Him- mel ſehen wir uns wieder, und vielleicht noch ein- mal, wenn es Gottes Will iſt, hier im Kloſter. Der Gedanke an den Tod hat fuͤr mich viel ſuͤſ- ſes. Mach ihn dir zum Freund, und du haſt nichts auf der Welt zu fuͤrchten! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0103" n="99"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> enthalten Lebensregeln, die ich nun ſeit dreyßig<lb/> Jahren ſchon befolgt, und bewaͤhrt befunden ha-<lb/> be. Praͤge ſie dir tief ein, und rufe ſie taͤglich<lb/> in dein Gedaͤchtniß zuruͤck! Wenn du ſie gleich<lb/> jetzt noch nicht ganz in ihrer Staͤrke ſuͤhlſt, und<lb/> vielleicht noch nicht voͤllig verſtehſt, ſo wirſt du<lb/> doch, wenn Zeit und Erfahrung kommt, ſie faſſen,<lb/> und ihren Werth recht ſchaͤtzen lernen. Jn der<lb/> Ordnung konnt ich ſie nicht niederſchreiben, ich<lb/> hatte zu wenig Zeit dazu, und mein Kopf wird<lb/> nach und nach durchs Alter ſchwach. — Wer<lb/> weiß, mein Sohn, ob wir uns in dieſem Leben wieder-<lb/> ſchen? Vielleicht triffſt du, wenn du wieder hier<lb/> ins Kloſter kommſt, mein Grab an. Denk dann<lb/> an deinen alten redlichen Freund, wenn du hier<lb/> allein im Garten gehſt; ruf dir ſeine Lehren zu-<lb/> ruͤck, und befolg ſie! Dadurch ehrt man das<lb/> Andenken an ſeine Verſtorbenen am beſten. Wer-<lb/> de nicht zu wehmuͤthig, mein Sohn! Jm Him-<lb/> mel ſehen wir uns wieder, und vielleicht noch ein-<lb/> mal, wenn es Gottes Will iſt, hier im Kloſter.<lb/> Der Gedanke an den Tod hat fuͤr mich viel ſuͤſ-<lb/> ſes. Mach ihn dir zum Freund, und du haſt<lb/> nichts auf der Welt zu fuͤrchten!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [99/0103]
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Jahren ſchon befolgt, und bewaͤhrt befunden ha-
be. Praͤge ſie dir tief ein, und rufe ſie taͤglich
in dein Gedaͤchtniß zuruͤck! Wenn du ſie gleich
jetzt noch nicht ganz in ihrer Staͤrke ſuͤhlſt, und
vielleicht noch nicht voͤllig verſtehſt, ſo wirſt du
doch, wenn Zeit und Erfahrung kommt, ſie faſſen,
und ihren Werth recht ſchaͤtzen lernen. Jn der
Ordnung konnt ich ſie nicht niederſchreiben, ich
hatte zu wenig Zeit dazu, und mein Kopf wird
nach und nach durchs Alter ſchwach. — Wer
weiß, mein Sohn, ob wir uns in dieſem Leben wieder-
ſchen? Vielleicht triffſt du, wenn du wieder hier
ins Kloſter kommſt, mein Grab an. Denk dann
an deinen alten redlichen Freund, wenn du hier
allein im Garten gehſt; ruf dir ſeine Lehren zu-
ruͤck, und befolg ſie! Dadurch ehrt man das
Andenken an ſeine Verſtorbenen am beſten. Wer-
de nicht zu wehmuͤthig, mein Sohn! Jm Him-
mel ſehen wir uns wieder, und vielleicht noch ein-
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Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/103>, abgerufen am 16.02.2025. |