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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Laß uns hier auf diesem Rasen sitzen! Er ist
schatticht, und das Gehen wird mir zu beschwer-
lich. Wenn dirs recht ist, so les' ich dir meine
Anmerkungen vor. Er zog sie aus dem Gürtel,
und las:

I. Mach dir den Gedanken von der göttli-
chen Allgegenwart
recht lebhaft und stets gegen-
wärtig! Er bewahrt vor jeder schlechten Hand-
lung und vor schändlichen Gedanken, die die Mut-
ter einer bösen Handlung sind. Wer sich schämt,
vor Menschen schlecht zu handeln, wird sich noch
mehr vor dem heiligsten und reinsten Wesen schä-
men, das zugleich unsre Thaten richtet. Der Ge-
danke von der göttlichen Allgegenwart erhebt das
Herz, und treibt es zu grossen Thaten an. Der
gegenwärtige Gott wird dich belohnen, wenn auch
Menschen deine That nicht sehen. Er wird dich
beschützen, wenn dir Menschen schaden wollen; und
dich stärken, wenn du sinken willst. Schon un-
sre Vorfahren, die doch Heiden waren, hatten die-
sen grossen, herrlichen Gedanken. Sie glaubten,
ihre Gottheit, die sie Wodan nannten, fülle den
Hain, den sie bewohnten und jeden Ort aus, wo
sie lebten. Daher war ihnen jeder Ort ein Heilig-
thum, jeder Wald ein Tempel; daher übten sie


Laß uns hier auf dieſem Raſen ſitzen! Er iſt
ſchatticht, und das Gehen wird mir zu beſchwer-
lich. Wenn dirs recht iſt, ſo leſ’ ich dir meine
Anmerkungen vor. Er zog ſie aus dem Guͤrtel,
und las:

I. Mach dir den Gedanken von der goͤttli-
chen Allgegenwart
recht lebhaft und ſtets gegen-
waͤrtig! Er bewahrt vor jeder ſchlechten Hand-
lung und vor ſchaͤndlichen Gedanken, die die Mut-
ter einer boͤſen Handlung ſind. Wer ſich ſchaͤmt,
vor Menſchen ſchlecht zu handeln, wird ſich noch
mehr vor dem heiligſten und reinſten Weſen ſchaͤ-
men, das zugleich unſre Thaten richtet. Der Ge-
danke von der goͤttlichen Allgegenwart erhebt das
Herz, und treibt es zu groſſen Thaten an. Der
gegenwaͤrtige Gott wird dich belohnen, wenn auch
Menſchen deine That nicht ſehen. Er wird dich
beſchuͤtzen, wenn dir Menſchen ſchaden wollen; und
dich ſtaͤrken, wenn du ſinken willſt. Schon un-
ſre Vorfahren, die doch Heiden waren, hatten die-
ſen groſſen, herrlichen Gedanken. Sie glaubten,
ihre Gottheit, die ſie Wodan nannten, fuͤlle den
Hain, den ſie bewohnten und jeden Ort aus, wo
ſie lebten. Daher war ihnen jeder Ort ein Heilig-
thum, jeder Wald ein Tempel; daher uͤbten ſie
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[100/0104] Laß uns hier auf dieſem Raſen ſitzen! Er iſt ſchatticht, und das Gehen wird mir zu beſchwer- lich. Wenn dirs recht iſt, ſo leſ’ ich dir meine Anmerkungen vor. Er zog ſie aus dem Guͤrtel, und las: I. Mach dir den Gedanken von der goͤttli- chen Allgegenwart recht lebhaft und ſtets gegen- waͤrtig! Er bewahrt vor jeder ſchlechten Hand- lung und vor ſchaͤndlichen Gedanken, die die Mut- ter einer boͤſen Handlung ſind. Wer ſich ſchaͤmt, vor Menſchen ſchlecht zu handeln, wird ſich noch mehr vor dem heiligſten und reinſten Weſen ſchaͤ- men, das zugleich unſre Thaten richtet. Der Ge- danke von der goͤttlichen Allgegenwart erhebt das Herz, und treibt es zu groſſen Thaten an. Der gegenwaͤrtige Gott wird dich belohnen, wenn auch Menſchen deine That nicht ſehen. Er wird dich beſchuͤtzen, wenn dir Menſchen ſchaden wollen; und dich ſtaͤrken, wenn du ſinken willſt. Schon un- ſre Vorfahren, die doch Heiden waren, hatten die- ſen groſſen, herrlichen Gedanken. Sie glaubten, ihre Gottheit, die ſie Wodan nannten, fuͤlle den Hain, den ſie bewohnten und jeden Ort aus, wo ſie lebten. Daher war ihnen jeder Ort ein Heilig- thum, jeder Wald ein Tempel; daher uͤbten ſie

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/104>, abgerufen am 24.11.2024.