Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



andern ließ er ihren Eltern. Besonders holte er
die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den
hohlen Bäumen, weil er gehört hatte, daß man
diese sprechen lehren könne, und gab sich mit de-
ren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Mühe.

Aus dieser Anlage des jungen Siegwart
schloß sein Vater, der kein unvernünftiger Mann
war, daß sein Sohn wol am besten zum Jäger
oder Soldaten taugen möchte. Er hatte auch schon
bey sich den Plan gemacht, ihn in seinem 15ten
Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu seinem
Bruder, einem Forstmeister in der Gegend, zu
thun, und ihn die Jägerey erlernen zu lassen; da-
her drang er auch nicht sehr in ihn, das Lateini-
sche, und gelehrte Wissenschaften zu lernen. Er
suchte nur seine Anlage zum rechtschaffnen deutschen
Mann zu entwickeln, und durch gute moralische
Grundsätze, die aus der Religion hergeleitet waren,
mehr zu befestigen; denn, obgleich der alte Sieg-
wart ein Katholik war, so hatte er sich doch die
Erlaubnis erkauft, in der Bibel lesen zu dürfen,
deren Geschichten und Lehrsätze er seinen Kindern
frühzeitig einzuprägen suchte. Und dieß legte
wirklich den Grund zu der frühen Rechtschaffen-
heit des jungen Siegwart, die sich nachher so oft



andern ließ er ihren Eltern. Beſonders holte er
die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den
hohlen Baͤumen, weil er gehoͤrt hatte, daß man
dieſe ſprechen lehren koͤnne, und gab ſich mit de-
ren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Muͤhe.

Aus dieſer Anlage des jungen Siegwart
ſchloß ſein Vater, der kein unvernuͤnftiger Mann
war, daß ſein Sohn wol am beſten zum Jaͤger
oder Soldaten taugen moͤchte. Er hatte auch ſchon
bey ſich den Plan gemacht, ihn in ſeinem 15ten
Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu ſeinem
Bruder, einem Forſtmeiſter in der Gegend, zu
thun, und ihn die Jaͤgerey erlernen zu laſſen; da-
her drang er auch nicht ſehr in ihn, das Lateini-
ſche, und gelehrte Wiſſenſchaften zu lernen. Er
ſuchte nur ſeine Anlage zum rechtſchaffnen deutſchen
Mann zu entwickeln, und durch gute moraliſche
Grundſaͤtze, die aus der Religion hergeleitet waren,
mehr zu befeſtigen; denn, obgleich der alte Sieg-
wart ein Katholik war, ſo hatte er ſich doch die
Erlaubnis erkauft, in der Bibel leſen zu duͤrfen,
deren Geſchichten und Lehrſaͤtze er ſeinen Kindern
fruͤhzeitig einzupraͤgen ſuchte. Und dieß legte
wirklich den Grund zu der fruͤhen Rechtſchaffen-
heit des jungen Siegwart, die ſich nachher ſo oft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="8"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
andern ließ er ihren Eltern. Be&#x017F;onders holte er<lb/>
die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den<lb/>
hohlen Ba&#x0364;umen, weil er geho&#x0364;rt hatte, daß man<lb/>
die&#x017F;e &#x017F;prechen lehren ko&#x0364;nne, und gab &#x017F;ich mit de-<lb/>
ren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Mu&#x0364;he.</p><lb/>
        <p>Aus die&#x017F;er Anlage des jungen Siegwart<lb/>
&#x017F;chloß &#x017F;ein Vater, der kein unvernu&#x0364;nftiger Mann<lb/>
war, daß &#x017F;ein Sohn wol am be&#x017F;ten zum Ja&#x0364;ger<lb/>
oder Soldaten taugen mo&#x0364;chte. Er hatte auch &#x017F;chon<lb/>
bey &#x017F;ich den Plan gemacht, ihn in &#x017F;einem 15ten<lb/>
Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu &#x017F;einem<lb/>
Bruder, einem For&#x017F;tmei&#x017F;ter in der Gegend, zu<lb/>
thun, und ihn die Ja&#x0364;gerey erlernen zu la&#x017F;&#x017F;en; da-<lb/>
her drang er auch nicht &#x017F;ehr in ihn, das Lateini-<lb/>
&#x017F;che, und gelehrte Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften zu lernen. Er<lb/>
&#x017F;uchte nur &#x017F;eine Anlage zum recht&#x017F;chaffnen deut&#x017F;chen<lb/>
Mann zu entwickeln, und durch gute morali&#x017F;che<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tze, die aus der Religion hergeleitet waren,<lb/>
mehr zu befe&#x017F;tigen; denn, obgleich der alte Sieg-<lb/>
wart ein Katholik war, &#x017F;o hatte er &#x017F;ich doch die<lb/>
Erlaubnis erkauft, in der Bibel le&#x017F;en zu du&#x0364;rfen,<lb/>
deren Ge&#x017F;chichten und Lehr&#x017F;a&#x0364;tze er &#x017F;einen Kindern<lb/>
fru&#x0364;hzeitig einzupra&#x0364;gen &#x017F;uchte. Und dieß legte<lb/>
wirklich den Grund zu der fru&#x0364;hen Recht&#x017F;chaffen-<lb/>
heit des jungen Siegwart, die &#x017F;ich nachher &#x017F;o oft<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0012] andern ließ er ihren Eltern. Beſonders holte er die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den hohlen Baͤumen, weil er gehoͤrt hatte, daß man dieſe ſprechen lehren koͤnne, und gab ſich mit de- ren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Muͤhe. Aus dieſer Anlage des jungen Siegwart ſchloß ſein Vater, der kein unvernuͤnftiger Mann war, daß ſein Sohn wol am beſten zum Jaͤger oder Soldaten taugen moͤchte. Er hatte auch ſchon bey ſich den Plan gemacht, ihn in ſeinem 15ten Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu ſeinem Bruder, einem Forſtmeiſter in der Gegend, zu thun, und ihn die Jaͤgerey erlernen zu laſſen; da- her drang er auch nicht ſehr in ihn, das Lateini- ſche, und gelehrte Wiſſenſchaften zu lernen. Er ſuchte nur ſeine Anlage zum rechtſchaffnen deutſchen Mann zu entwickeln, und durch gute moraliſche Grundſaͤtze, die aus der Religion hergeleitet waren, mehr zu befeſtigen; denn, obgleich der alte Sieg- wart ein Katholik war, ſo hatte er ſich doch die Erlaubnis erkauft, in der Bibel leſen zu duͤrfen, deren Geſchichten und Lehrſaͤtze er ſeinen Kindern fruͤhzeitig einzupraͤgen ſuchte. Und dieß legte wirklich den Grund zu der fruͤhen Rechtſchaffen- heit des jungen Siegwart, die ſich nachher ſo oft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/12
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/12>, abgerufen am 21.11.2024.