Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.der Nacht konnt' ich noch an meinem Fenster die Apricosenblüthe durchschimmern sehen, und da über- dacht ich, wie der liebe Gott so gut ist, daß ein Baum erst durch seine Schönheit das Auge, und dann noch durch seine Frucht den Gaumen weiden muß. Wenn dann der Abendwind durch die Blü- then säuselt, und den süssen Geruch mir zuweht; dann ist mirs oft, als fühlt ich Gottes Gegen- wart leibhaftig, und müßt mich schnell vor ihm niederwerfen und anbeten! O es ist ein herrlich Ding um die Welt! Alles ist so schön, und jeder Monat hat seine eigne Schönheit, aber doch der May am meisten! -- -- Da seht mir nur Wundershalb den Kirschbaum an! Jsts nicht, als obs Ein Strauß wäre, da man kaum das Laub dran sieht! Hier in den Einfassungen hab ich Blumen hingepflanzt, sieht sie; es ist ganz was neues. Vorher war alles Krautland; aber, dacht ich, man muß doch auch etwas Augenlust haben; und da hat mir des Barons Gärtner Tulpen- und Narcissenzwiebel, auch Aurikeln und gelben Lack geschenkt. Mit den Tausendschönchen hab ich da die Beeten eingefaßt, weil sie jeden Monat neu blühen. Da hab ich nun so meine Freude, nach dem Mittagsessen, oder Abends in der Kühle, daß der Nacht konnt’ ich noch an meinem Fenſter die Apricoſenbluͤthe durchſchimmern ſehen, und da uͤber- dacht ich, wie der liebe Gott ſo gut iſt, daß ein Baum erſt durch ſeine Schoͤnheit das Auge, und dann noch durch ſeine Frucht den Gaumen weiden muß. Wenn dann der Abendwind durch die Bluͤ- then ſaͤuſelt, und den ſuͤſſen Geruch mir zuweht; dann iſt mirs oft, als fuͤhlt ich Gottes Gegen- wart leibhaftig, und muͤßt mich ſchnell vor ihm niederwerfen und anbeten! O es iſt ein herrlich Ding um die Welt! Alles iſt ſo ſchoͤn, und jeder Monat hat ſeine eigne Schoͤnheit, aber doch der May am meiſten! — — Da ſeht mir nur Wundershalb den Kirſchbaum an! Jſts nicht, als obs Ein Strauß waͤre, da man kaum das Laub dran ſieht! Hier in den Einfaſſungen hab ich Blumen hingepflanzt, ſieht ſie; es iſt ganz was neues. Vorher war alles Krautland; aber, dacht ich, man muß doch auch etwas Augenluſt haben; und da hat mir des Barons Gaͤrtner Tulpen- und Narciſſenzwiebel, auch Aurikeln und gelben Lack geſchenkt. Mit den Tauſendſchoͤnchen hab ich da die Beeten eingefaßt, weil ſie jeden Monat neu bluͤhen. Da hab ich nun ſo meine Freude, nach dem Mittagseſſen, oder Abends in der Kuͤhle, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0155" n="151"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> der Nacht konnt’ ich noch an meinem Fenſter die<lb/> Apricoſenbluͤthe durchſchimmern ſehen, und da uͤber-<lb/> dacht ich, wie der liebe Gott ſo gut iſt, daß ein<lb/> Baum erſt durch ſeine Schoͤnheit das Auge, und<lb/> dann noch durch ſeine Frucht den Gaumen weiden<lb/> muß. Wenn dann der Abendwind durch die Bluͤ-<lb/> then ſaͤuſelt, und den ſuͤſſen Geruch mir zuweht;<lb/> dann iſt mirs oft, als fuͤhlt ich Gottes Gegen-<lb/> wart leibhaftig, und muͤßt mich ſchnell vor ihm<lb/> niederwerfen und anbeten! O es iſt ein herrlich<lb/> Ding um die Welt! Alles iſt ſo ſchoͤn, und jeder<lb/> Monat hat ſeine eigne Schoͤnheit, aber doch<lb/> der May am meiſten! — — Da ſeht mir nur<lb/> Wundershalb den Kirſchbaum an! Jſts nicht, als<lb/> obs Ein Strauß waͤre, da man kaum das Laub<lb/> dran ſieht! Hier in den Einfaſſungen hab ich<lb/> Blumen hingepflanzt, ſieht ſie; es iſt ganz was<lb/> neues. Vorher war alles Krautland; aber, dacht<lb/> ich, man muß doch auch etwas Augenluſt haben;<lb/> und da hat mir des Barons Gaͤrtner Tulpen-<lb/> und Narciſſenzwiebel, auch Aurikeln und gelben Lack<lb/> geſchenkt. Mit den Tauſendſchoͤnchen hab ich da<lb/> die Beeten eingefaßt, weil ſie jeden Monat neu<lb/> bluͤhen. Da hab ich nun ſo meine Freude, nach<lb/> dem Mittagseſſen, oder Abends in der Kuͤhle, daß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [151/0155]
der Nacht konnt’ ich noch an meinem Fenſter die
Apricoſenbluͤthe durchſchimmern ſehen, und da uͤber-
dacht ich, wie der liebe Gott ſo gut iſt, daß ein
Baum erſt durch ſeine Schoͤnheit das Auge, und
dann noch durch ſeine Frucht den Gaumen weiden
muß. Wenn dann der Abendwind durch die Bluͤ-
then ſaͤuſelt, und den ſuͤſſen Geruch mir zuweht;
dann iſt mirs oft, als fuͤhlt ich Gottes Gegen-
wart leibhaftig, und muͤßt mich ſchnell vor ihm
niederwerfen und anbeten! O es iſt ein herrlich
Ding um die Welt! Alles iſt ſo ſchoͤn, und jeder
Monat hat ſeine eigne Schoͤnheit, aber doch
der May am meiſten! — — Da ſeht mir nur
Wundershalb den Kirſchbaum an! Jſts nicht, als
obs Ein Strauß waͤre, da man kaum das Laub
dran ſieht! Hier in den Einfaſſungen hab ich
Blumen hingepflanzt, ſieht ſie; es iſt ganz was
neues. Vorher war alles Krautland; aber, dacht
ich, man muß doch auch etwas Augenluſt haben;
und da hat mir des Barons Gaͤrtner Tulpen-
und Narciſſenzwiebel, auch Aurikeln und gelben Lack
geſchenkt. Mit den Tauſendſchoͤnchen hab ich da
die Beeten eingefaßt, weil ſie jeden Monat neu
bluͤhen. Da hab ich nun ſo meine Freude, nach
dem Mittagseſſen, oder Abends in der Kuͤhle, daß
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