Sie giengen mit einander hin. Therese rieb den Zucker und das Brod, und streute es über den Milchrahm her. Sie assen so ver- gnügt, wie eine Familie der Erzväter. Therese saß in ihrem Sonnenhütchen da, und würzte die Kost durch ihre Freundlichkeit und den heitern Scherz. Der alte Prediger war so munter, wie ein Jüngling. Xavers Seele war voll Ruhe und voll süsser Wehmuth. Niemand hatte die glückliche Gabe mehr, wie Therese, sich in einen jeden Cha- rakter zu schmiegen, und seine Aufmerksamkeit zu erhalten, ohne eitel zu seyn, oder ihre Grundsätze zu verleugnen. Sie war frölich bey den Fröli- chen; heiter bey den Heitern; ernst und auf- merksam bey gesetztern oder ältern Leuten, und er- hielt dadurch die Zuneigung aller. Es war ein angenehmes Schauspiel, mit welcher Kentnis und mit welchem ganzen herzlichen Antheil sie sich mit dem Prediger von lauter Dingen unterhielt, die Jhm wichtig waren, wie sie sich nach seinen Pfarrkindern, nach seinen Verwandten, nach sei- nem Zehenten, und besonders nach der Einrich- tung seines Obst- und Wurzgartens erkundigte; mit welcher Lehrbegierde sie ihn hörte; wie ange- nehm sie ihm kleine Geschichten aus der Haushal-
Sie giengen mit einander hin. Thereſe rieb den Zucker und das Brod, und ſtreute es uͤber den Milchrahm her. Sie aſſen ſo ver- gnuͤgt, wie eine Familie der Erzvaͤter. Thereſe ſaß in ihrem Sonnenhuͤtchen da, und wuͤrzte die Koſt durch ihre Freundlichkeit und den heitern Scherz. Der alte Prediger war ſo munter, wie ein Juͤngling. Xavers Seele war voll Ruhe und voll ſuͤſſer Wehmuth. Niemand hatte die gluͤckliche Gabe mehr, wie Thereſe, ſich in einen jeden Cha- rakter zu ſchmiegen, und ſeine Aufmerkſamkeit zu erhalten, ohne eitel zu ſeyn, oder ihre Grundſaͤtze zu verleugnen. Sie war froͤlich bey den Froͤli- chen; heiter bey den Heitern; ernſt und auf- merkſam bey geſetztern oder aͤltern Leuten, und er- hielt dadurch die Zuneigung aller. Es war ein angenehmes Schauſpiel, mit welcher Kentnis und mit welchem ganzen herzlichen Antheil ſie ſich mit dem Prediger von lauter Dingen unterhielt, die Jhm wichtig waren, wie ſie ſich nach ſeinen Pfarrkindern, nach ſeinen Verwandten, nach ſei- nem Zehenten, und beſonders nach der Einrich- tung ſeines Obſt- und Wurzgartens erkundigte; mit welcher Lehrbegierde ſie ihn hoͤrte; wie ange- nehm ſie ihm kleine Geſchichten aus der Haushal-
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Sie giengen mit einander hin. Thereſe
rieb den Zucker und das Brod, und ſtreute es
uͤber den Milchrahm her. Sie aſſen ſo ver-
gnuͤgt, wie eine Familie der Erzvaͤter. Thereſe
ſaß in ihrem Sonnenhuͤtchen da, und wuͤrzte die
Koſt durch ihre Freundlichkeit und den heitern
Scherz. Der alte Prediger war ſo munter, wie
ein Juͤngling. Xavers Seele war voll Ruhe und
voll ſuͤſſer Wehmuth. Niemand hatte die gluͤckliche
Gabe mehr, wie Thereſe, ſich in einen jeden Cha-
rakter zu ſchmiegen, und ſeine Aufmerkſamkeit zu
erhalten, ohne eitel zu ſeyn, oder ihre Grundſaͤtze
zu verleugnen. Sie war froͤlich bey den Froͤli-
chen; heiter bey den Heitern; ernſt und auf-
merkſam bey geſetztern oder aͤltern Leuten, und er-
hielt dadurch die Zuneigung aller. Es war ein
angenehmes Schauſpiel, mit welcher Kentnis und
mit welchem ganzen herzlichen Antheil ſie ſich
mit dem Prediger von lauter Dingen unterhielt,
die Jhm wichtig waren, wie ſie ſich nach ſeinen
Pfarrkindern, nach ſeinen Verwandten, nach ſei-
nem Zehenten, und beſonders nach der Einrich-
tung ſeines Obſt- und Wurzgartens erkundigte;
mit welcher Lehrbegierde ſie ihn hoͤrte; wie ange-
nehm ſie ihm kleine Geſchichten aus der Haushal-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/161>, abgerufen am 24.11.2024.
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