Siegwart betrachtete unterdeß den Re- ckruten, der einen Brief aus der Tasche zog, und ihn mit Bewegung las. Wenn ich ihm nur hel- fen könnte! Dachte er. Gern hätt er ihm von sei- nem Geld etwas mitgetheilt, und griff schon ein paarmal in die Taschen, aber er wagte es nicht, vor den übrigen, ihm was anzubieten, weil er fürch- tete, ihn in Verlegenheit zu setzen.
Jndeß kam Siegwarts Knecht, und sagte, die Pferde seyn gefüttert. Er nahm Abschied, und fuhr weiter. Eine halbe Stunde vor dem Dorfe gieng ein Weib mit drey Kindern an dem Wagen vorbey, und weinte. -- Gelobt sey Jesus Christus! sagte sie. Jn Ewigkeit! antwortete Siegwart. -- Ach, lieber junger Herr, theilen Sie doch einem armen Weib eine kleine Gabe mit, die Haus und Hof verlassen muß! Warum? sagte Siegwart. -- O du lieber Gott, war ihre Antwort, weil mein Mann ein paar Hirsche todt- geschossen hat, die uns unser Korn wegfrassen. Nun werd ich ihn wol in meinem Leben nicht mehr sehen. Sie haben ihn schon in die Karre gebracht. Siegwart gab ihr einen ganzen Kon-
Siegwart betrachtete unterdeß den Re- ckruten, der einen Brief aus der Taſche zog, und ihn mit Bewegung las. Wenn ich ihm nur hel- fen koͤnnte! Dachte er. Gern haͤtt er ihm von ſei- nem Geld etwas mitgetheilt, und griff ſchon ein paarmal in die Taſchen, aber er wagte es nicht, vor den uͤbrigen, ihm was anzubieten, weil er fuͤrch- tete, ihn in Verlegenheit zu ſetzen.
Jndeß kam Siegwarts Knecht, und ſagte, die Pferde ſeyn gefuͤttert. Er nahm Abſchied, und fuhr weiter. Eine halbe Stunde vor dem Dorfe gieng ein Weib mit drey Kindern an dem Wagen vorbey, und weinte. — Gelobt ſey Jeſus Chriſtus! ſagte ſie. Jn Ewigkeit! antwortete Siegwart. — Ach, lieber junger Herr, theilen Sie doch einem armen Weib eine kleine Gabe mit, die Haus und Hof verlaſſen muß! Warum? ſagte Siegwart. — O du lieber Gott, war ihre Antwort, weil mein Mann ein paar Hirſche todt- geſchoſſen hat, die uns unſer Korn wegfraſſen. Nun werd ich ihn wol in meinem Leben nicht mehr ſehen. Sie haben ihn ſchon in die Karre gebracht. Siegwart gab ihr einen ganzen Kon-
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ich raiſonnirt hab! Jch verklag ihn, meiner Six,
beym Amtmann. —
Siegwart betrachtete unterdeß den Re-
ckruten, der einen Brief aus der Taſche zog, und
ihn mit Bewegung las. Wenn ich ihm nur hel-
fen koͤnnte! Dachte er. Gern haͤtt er ihm von ſei-
nem Geld etwas mitgetheilt, und griff ſchon ein
paarmal in die Taſchen, aber er wagte es nicht,
vor den uͤbrigen, ihm was anzubieten, weil er fuͤrch-
tete, ihn in Verlegenheit zu ſetzen.
Jndeß kam Siegwarts Knecht, und ſagte,
die Pferde ſeyn gefuͤttert. Er nahm Abſchied,
und fuhr weiter. Eine halbe Stunde vor dem
Dorfe gieng ein Weib mit drey Kindern an dem
Wagen vorbey, und weinte. — Gelobt ſey Jeſus
Chriſtus! ſagte ſie. Jn Ewigkeit! antwortete
Siegwart. — Ach, lieber junger Herr, theilen
Sie doch einem armen Weib eine kleine Gabe
mit, die Haus und Hof verlaſſen muß! Warum?
ſagte Siegwart. — O du lieber Gott, war ihre
Antwort, weil mein Mann ein paar Hirſche todt-
geſchoſſen hat, die uns unſer Korn wegfraſſen.
Nun werd ich ihn wol in meinem Leben nicht
mehr ſehen. Sie haben ihn ſchon in die Karre
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/179>, abgerufen am 24.11.2024.
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