ventionsthaler. Sie rief ihm nach; aber er be- fahl dem Kutscher zuzufahren.
Nun sah er schon von fern das Städtchen liegen, wo er hin sollte. Es lag auf dem erhöhten Donauufer anmutig da, und zu beyden Seiten standen Eichenwälder.
Seine Seele hub sich bey dem Anblick einer neuen Gegend um so mehr, weil sie eine Zeitlang seinen Wohnplatz ausmachen sollte. Eine unru- hige Freude bemächtigte sich seiner; er zitterte, und sein Gesicht glühte. Anfangs wünschte er, nur recht bald da zu seyn, um seine neuen Lehrer zu sehen; aber, als er näher zu dem Städtchen kam, wünschte er sich wieder weiter weg. Nun lag's immer deut- licher vor ihm da; er sah die ganzen Thürme, mit den Kirchen dran, und konnte schon einzelne Häu- ser unterscheiden. Mit der Deutlichkeit wuchs seine Unruhe. Als er über die Donaubrücke fuhr, be- gegneten ihm ein paar Piaristen mit vier oder fünf Studenten; sein Herz schlug ungestümer; er nahm den Hut ab, und bückte sich sehr tief. Einer von den Lehrern dankte freundlich, als ob er ihn kennte. Möchte das doch P. Philipp seyn! Dachte Sieg- wart. Nun fuhr er durch die Vorstadt, und den Stadtberg hinauf ins Städtchen. Er stieg beym
ventionsthaler. Sie rief ihm nach; aber er be- fahl dem Kutſcher zuzufahren.
Nun ſah er ſchon von fern das Staͤdtchen liegen, wo er hin ſollte. Es lag auf dem erhoͤhten Donauufer anmutig da, und zu beyden Seiten ſtanden Eichenwaͤlder.
Seine Seele hub ſich bey dem Anblick einer neuen Gegend um ſo mehr, weil ſie eine Zeitlang ſeinen Wohnplatz ausmachen ſollte. Eine unru- hige Freude bemaͤchtigte ſich ſeiner; er zitterte, und ſein Geſicht gluͤhte. Anfangs wuͤnſchte er, nur recht bald da zu ſeyn, um ſeine neuen Lehrer zu ſehen; aber, als er naͤher zu dem Staͤdtchen kam, wuͤnſchte er ſich wieder weiter weg. Nun lag’s immer deut- licher vor ihm da; er ſah die ganzen Thuͤrme, mit den Kirchen dran, und konnte ſchon einzelne Haͤu- ſer unterſcheiden. Mit der Deutlichkeit wuchs ſeine Unruhe. Als er uͤber die Donaubruͤcke fuhr, be- gegneten ihm ein paar Piariſten mit vier oder fuͤnf Studenten; ſein Herz ſchlug ungeſtuͤmer; er nahm den Hut ab, und buͤckte ſich ſehr tief. Einer von den Lehrern dankte freundlich, als ob er ihn kennte. Moͤchte das doch P. Philipp ſeyn! Dachte Sieg- wart. Nun fuhr er durch die Vorſtadt, und den Stadtberg hinauf ins Staͤdtchen. Er ſtieg beym
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ventionsthaler. Sie rief ihm nach; aber er be-
fahl dem Kutſcher zuzufahren.
Nun ſah er ſchon von fern das Staͤdtchen
liegen, wo er hin ſollte. Es lag auf dem erhoͤhten
Donauufer anmutig da, und zu beyden Seiten
ſtanden Eichenwaͤlder.
Seine Seele hub ſich bey dem Anblick einer
neuen Gegend um ſo mehr, weil ſie eine Zeitlang
ſeinen Wohnplatz ausmachen ſollte. Eine unru-
hige Freude bemaͤchtigte ſich ſeiner; er zitterte, und
ſein Geſicht gluͤhte. Anfangs wuͤnſchte er, nur recht
bald da zu ſeyn, um ſeine neuen Lehrer zu ſehen;
aber, als er naͤher zu dem Staͤdtchen kam, wuͤnſchte
er ſich wieder weiter weg. Nun lag’s immer deut-
licher vor ihm da; er ſah die ganzen Thuͤrme, mit
den Kirchen dran, und konnte ſchon einzelne Haͤu-
ſer unterſcheiden. Mit der Deutlichkeit wuchs ſeine
Unruhe. Als er uͤber die Donaubruͤcke fuhr, be-
gegneten ihm ein paar Piariſten mit vier oder fuͤnf
Studenten; ſein Herz ſchlug ungeſtuͤmer; er nahm
den Hut ab, und buͤckte ſich ſehr tief. Einer von
den Lehrern dankte freundlich, als ob er ihn kennte.
Moͤchte das doch P. Philipp ſeyn! Dachte Sieg-
wart. Nun fuhr er durch die Vorſtadt, und den
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/180>, abgerufen am 21.11.2024.
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