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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Das sieht ihm so recht ähnlich, sagte P.
Philipp. Jch warn' ihn aus guter Meynung,
Siegwart, laß er sich mit dem Jungen nicht zu
tief ein! Er möcht's zu spät bereuen. Jch weiß
wohl, daß Ers nicht böse meynt, wann er mit ihm
umgeht; aber man kann durch den Schein gar
leicht betrogen werden.

Xaver dachte drüber nach, und ward in sei-
nem Umgang mit Kreutznern behutsamer und käl-
ter; dasür besuchte er desto mehr den Pater Phi-
lipp
und den jungen Kronhelm, in dessen Umgang
seine Seele mehr Nahrung fand. Er lernte bey
dem Pater das Zeichnen, wozu er ziemlich Anlage
und Lust hatte. Noch weiter aber brachte er es in
der Musik. Kronhelm spielte die Violine sehr gut,
und mußte Xavern jeden Abend in der Dämme-
rung zärtliche Arien oder klagende Adagios vorspie-
len. Dadurch bekam er selbst Lust zur Violine,
und lernte in kurzer Zeit bey einem jungen Pater
sehr viel; so daß er nun dem jungen Kronhelm
chon akkompagniren konnte. Der junge Pater
merkte auch bey ihm viel Anlage zum Singen; er hatte
eine geläufige biegsam Stimme, und einen hellen Te-
nor; und in einem Vierteljahre ward er kein ge-

N


Das ſieht ihm ſo recht aͤhnlich, ſagte P.
Philipp. Jch warn’ ihn aus guter Meynung,
Siegwart, laß er ſich mit dem Jungen nicht zu
tief ein! Er moͤcht’s zu ſpaͤt bereuen. Jch weiß
wohl, daß Ers nicht boͤſe meynt, wann er mit ihm
umgeht; aber man kann durch den Schein gar
leicht betrogen werden.

Xaver dachte druͤber nach, und ward in ſei-
nem Umgang mit Kreutznern behutſamer und kaͤl-
ter; daſuͤr beſuchte er deſto mehr den Pater Phi-
lipp
und den jungen Kronhelm, in deſſen Umgang
ſeine Seele mehr Nahrung fand. Er lernte bey
dem Pater das Zeichnen, wozu er ziemlich Anlage
und Luſt hatte. Noch weiter aber brachte er es in
der Muſik. Kronhelm ſpielte die Violine ſehr gut,
und mußte Xavern jeden Abend in der Daͤmme-
rung zaͤrtliche Arien oder klagende Adagios vorſpie-
len. Dadurch bekam er ſelbſt Luſt zur Violine,
und lernte in kurzer Zeit bey einem jungen Pater
ſehr viel; ſo daß er nun dem jungen Kronhelm
chon akkompagniren konnte. Der junge Pater
merkte auch bey ihm viel Anlage zum Singen; er hatte
eine gelaͤufige biegſam Stimme, und einen hellen Te-
nor; und in einem Vierteljahre ward er kein ge-

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[193/0197] Das ſieht ihm ſo recht aͤhnlich, ſagte P. Philipp. Jch warn’ ihn aus guter Meynung, Siegwart, laß er ſich mit dem Jungen nicht zu tief ein! Er moͤcht’s zu ſpaͤt bereuen. Jch weiß wohl, daß Ers nicht boͤſe meynt, wann er mit ihm umgeht; aber man kann durch den Schein gar leicht betrogen werden. Xaver dachte druͤber nach, und ward in ſei- nem Umgang mit Kreutznern behutſamer und kaͤl- ter; daſuͤr beſuchte er deſto mehr den Pater Phi- lipp und den jungen Kronhelm, in deſſen Umgang ſeine Seele mehr Nahrung fand. Er lernte bey dem Pater das Zeichnen, wozu er ziemlich Anlage und Luſt hatte. Noch weiter aber brachte er es in der Muſik. Kronhelm ſpielte die Violine ſehr gut, und mußte Xavern jeden Abend in der Daͤmme- rung zaͤrtliche Arien oder klagende Adagios vorſpie- len. Dadurch bekam er ſelbſt Luſt zur Violine, und lernte in kurzer Zeit bey einem jungen Pater ſehr viel; ſo daß er nun dem jungen Kronhelm chon akkompagniren konnte. Der junge Pater merkte auch bey ihm viel Anlage zum Singen; er hatte eine gelaͤufige biegſam Stimme, und einen hellen Te- nor; und in einem Vierteljahre ward er kein ge- N

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/197>, abgerufen am 21.11.2024.