Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.kein gut Gewissen hätte. Dabey ist er so überhöf- lich, und die gar zu höflichen Leute kann ich für den Tod nicht ausstehn. Sie haben immer so ihre Ursachen und Nebenabsichten dabey, warum sie's sind. Da, wers gut meynt, geht gerad heraus, und sagt ohne Umschweife, was er denkt. Man braucht deswegen noch nicht grob zu seyn! Es gibt so eine Mittelart; man weiß selbst nicht, wie mans nennen soll; aber fühlen kanns ein jeder. Nicht wahr, Kronhelm, er denkt von Kreutznern eben so? -- Ja, wenn ichs frey heraus sagen darf, Herr Professor, antwortete Kronhelm, so gefällt er mir auch nicht. Er hat so was heimtükisches und schlei- chendes und freut sich nie recht, wenn wir miteinander lustig sind; oder es sieht immer aus, als ob er sich auf Andrer Kosten freute. Neulich giengen wir einmal spatzieren, da kam ein Bettelbub und bettelte. Wir konnten ihm nichts geben, weil wir nichts bey uns hatten; Kreutzner aber äffte den armen Knaben immer; ließ ihn wol eine Viertelstunde hinter drein laufen, sagte immer: Wart, bey jenem Baum dort sollst du was kriegen, und zuletzt schlug er ihm die Mütze aus der Hand, daß sie in den Koth fiel, und der Bube weinte. Das gefiel mir gar nicht, und ich sagt ihms auch; aber er lachte drüber. kein gut Gewiſſen haͤtte. Dabey iſt er ſo uͤberhoͤf- lich, und die gar zu hoͤflichen Leute kann ich fuͤr den Tod nicht ausſtehn. Sie haben immer ſo ihre Urſachen und Nebenabſichten dabey, warum ſie’s ſind. Da, wers gut meynt, geht gerad heraus, und ſagt ohne Umſchweife, was er denkt. Man braucht deswegen noch nicht grob zu ſeyn! Es gibt ſo eine Mittelart; man weiß ſelbſt nicht, wie mans nennen ſoll; aber fuͤhlen kanns ein jeder. Nicht wahr, Kronhelm, er denkt von Kreutznern eben ſo? — Ja, wenn ichs frey heraus ſagen darf, Herr Profeſſor, antwortete Kronhelm, ſo gefaͤllt er mir auch nicht. Er hat ſo was heimtuͤkiſches und ſchlei- chendes und freut ſich nie recht, wenn wir miteinander luſtig ſind; oder es ſieht immer aus, als ob er ſich auf Andrer Koſten freute. Neulich giengen wir einmal ſpatzieren, da kam ein Bettelbub und bettelte. Wir konnten ihm nichts geben, weil wir nichts bey uns hatten; Kreutzner aber aͤffte den armen Knaben immer; ließ ihn wol eine Viertelſtunde hinter drein laufen, ſagte immer: Wart, bey jenem Baum dort ſollſt du was kriegen, und zuletzt ſchlug er ihm die Muͤtze aus der Hand, daß ſie in den Koth fiel, und der Bube weinte. Das gefiel mir gar nicht, und ich ſagt ihms auch; aber er lachte druͤber. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0196" n="192"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> kein gut Gewiſſen haͤtte. Dabey iſt er ſo uͤberhoͤf-<lb/> lich, und die gar zu hoͤflichen Leute kann ich fuͤr<lb/> den Tod nicht ausſtehn. Sie haben immer ſo ihre<lb/> Urſachen und Nebenabſichten dabey, warum ſie’s<lb/> ſind. Da, wers gut meynt, geht gerad heraus,<lb/> und ſagt ohne Umſchweife, was er denkt. Man<lb/> braucht deswegen noch nicht grob zu ſeyn! Es gibt<lb/> ſo eine Mittelart; man weiß ſelbſt nicht, wie mans<lb/> nennen ſoll; aber fuͤhlen kanns ein jeder. Nicht<lb/> wahr, <hi rendition="#fr">Kronhelm,</hi> er denkt von <hi rendition="#fr">Kreutznern</hi> eben<lb/> ſo? — Ja, wenn ichs frey heraus ſagen darf, Herr<lb/> Profeſſor, antwortete <hi rendition="#fr">Kronhelm,</hi> ſo gefaͤllt er mir<lb/> auch nicht. Er hat ſo was heimtuͤkiſches und ſchlei-<lb/> chendes und freut ſich nie recht, wenn wir miteinander<lb/> luſtig ſind; oder es ſieht immer aus, als ob er ſich auf<lb/> Andrer Koſten freute. Neulich giengen wir einmal<lb/> ſpatzieren, da kam ein Bettelbub und bettelte. Wir<lb/> konnten ihm nichts geben, weil wir nichts bey uns<lb/> hatten; <hi rendition="#fr">Kreutzner</hi> aber aͤffte den armen Knaben<lb/> immer; ließ ihn wol eine Viertelſtunde hinter<lb/> drein laufen, ſagte immer: Wart, bey jenem Baum<lb/> dort ſollſt du was kriegen, und zuletzt ſchlug er ihm<lb/> die Muͤtze aus der Hand, daß ſie in den Koth fiel,<lb/> und der Bube weinte. Das gefiel mir gar nicht,<lb/> und ich ſagt ihms auch; aber er lachte druͤber.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [192/0196]
kein gut Gewiſſen haͤtte. Dabey iſt er ſo uͤberhoͤf-
lich, und die gar zu hoͤflichen Leute kann ich fuͤr
den Tod nicht ausſtehn. Sie haben immer ſo ihre
Urſachen und Nebenabſichten dabey, warum ſie’s
ſind. Da, wers gut meynt, geht gerad heraus,
und ſagt ohne Umſchweife, was er denkt. Man
braucht deswegen noch nicht grob zu ſeyn! Es gibt
ſo eine Mittelart; man weiß ſelbſt nicht, wie mans
nennen ſoll; aber fuͤhlen kanns ein jeder. Nicht
wahr, Kronhelm, er denkt von Kreutznern eben
ſo? — Ja, wenn ichs frey heraus ſagen darf, Herr
Profeſſor, antwortete Kronhelm, ſo gefaͤllt er mir
auch nicht. Er hat ſo was heimtuͤkiſches und ſchlei-
chendes und freut ſich nie recht, wenn wir miteinander
luſtig ſind; oder es ſieht immer aus, als ob er ſich auf
Andrer Koſten freute. Neulich giengen wir einmal
ſpatzieren, da kam ein Bettelbub und bettelte. Wir
konnten ihm nichts geben, weil wir nichts bey uns
hatten; Kreutzner aber aͤffte den armen Knaben
immer; ließ ihn wol eine Viertelſtunde hinter
drein laufen, ſagte immer: Wart, bey jenem Baum
dort ſollſt du was kriegen, und zuletzt ſchlug er ihm
die Muͤtze aus der Hand, daß ſie in den Koth fiel,
und der Bube weinte. Das gefiel mir gar nicht,
und ich ſagt ihms auch; aber er lachte druͤber.
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