Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Siegwart schieben; aber bey einer genauern Un- tersuchung, und als man ihm mit einer noch en- gern Gefangenschaft drohte, gestand er ein, wo er gewesen sey, und was er da gemacht habe? Seine Vergehen waren so, daß er, nach den Schulgese- tzen, verstossen werden mußte. Die Strase ward ihm auch angekündigt, und ein paar Famuli wur- den so gleich hingeschickt, seine Sachen auf dem Zim- mer einzupacken und wegzubringen. Jndessen leg- te sich der Heuchler aufs Bitten, und suchte alle mögliche Kunstgriffe hervor, seine Lehrer zum Mit- leiden zu bewegen. Er warf sich vor ihnen auf die Knie nieder, weinte bitterlich, und sagte, er könne nicht eher aufstehen, als bis er wieder ange- nommen werde. Auf ihren Ausspruch komme es an, ob er sein Leben durch glücklich, oder elend seyn solle? Er sehe nichts vor sich, wenn man ihn ver- stosse, als ein Leben voller Jammer, denn er müsse nothwendig Soldat werden. Seine Aeltern seyen arm, und können sich seiner auf keine Art anneh- men. Dabey sey sein Vater so streng, daß er ihm nicht unter die Augen treten dürfe. Er würde die Thüre vor ihm zuschliessen, und ihn seinem Unglück überlassen. Ob man einen armen reuigen Men- schen ganz ins Elend stürzen wolle? Sein Verge- Siegwart ſchieben; aber bey einer genauern Un- terſuchung, und als man ihm mit einer noch en- gern Gefangenſchaft drohte, geſtand er ein, wo er geweſen ſey, und was er da gemacht habe? Seine Vergehen waren ſo, daß er, nach den Schulgeſe- tzen, verſtoſſen werden mußte. Die Straſe ward ihm auch angekuͤndigt, und ein paar Famuli wur- den ſo gleich hingeſchickt, ſeine Sachen auf dem Zim- mer einzupacken und wegzubringen. Jndeſſen leg- te ſich der Heuchler aufs Bitten, und ſuchte alle moͤgliche Kunſtgriffe hervor, ſeine Lehrer zum Mit- leiden zu bewegen. Er warf ſich vor ihnen auf die Knie nieder, weinte bitterlich, und ſagte, er koͤnne nicht eher aufſtehen, als bis er wieder ange- nommen werde. Auf ihren Ausſpruch komme es an, ob er ſein Leben durch gluͤcklich, oder elend ſeyn ſolle? Er ſehe nichts vor ſich, wenn man ihn ver- ſtoſſe, als ein Leben voller Jammer, denn er muͤſſe nothwendig Soldat werden. Seine Aeltern ſeyen arm, und koͤnnen ſich ſeiner auf keine Art anneh- men. Dabey ſey ſein Vater ſo ſtreng, daß er ihm nicht unter die Augen treten duͤrfe. Er wuͤrde die Thuͤre vor ihm zuſchlieſſen, und ihn ſeinem Ungluͤck uͤberlaſſen. Ob man einen armen reuigen Men- ſchen ganz ins Elend ſtuͤrzen wolle? Sein Verge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0205" n="201"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><hi rendition="#fr">Siegwart</hi> ſchieben; aber bey einer genauern Un-<lb/> terſuchung, und als man ihm mit einer noch en-<lb/> gern Gefangenſchaft drohte, geſtand er ein, wo er<lb/> geweſen ſey, und was er da gemacht habe? Seine<lb/> Vergehen waren ſo, daß er, nach den Schulgeſe-<lb/> tzen, verſtoſſen werden mußte. Die Straſe ward<lb/> ihm auch angekuͤndigt, und ein paar Famuli wur-<lb/> den ſo gleich hingeſchickt, ſeine Sachen auf dem Zim-<lb/> mer einzupacken und wegzubringen. Jndeſſen leg-<lb/> te ſich der Heuchler aufs Bitten, und ſuchte alle<lb/> moͤgliche Kunſtgriffe hervor, ſeine Lehrer zum Mit-<lb/> leiden zu bewegen. Er warf ſich vor ihnen auf<lb/> die Knie nieder, weinte bitterlich, und ſagte, er<lb/> koͤnne nicht eher aufſtehen, als bis er wieder ange-<lb/> nommen werde. Auf ihren Ausſpruch komme es<lb/> an, ob er ſein Leben durch gluͤcklich, oder elend ſeyn<lb/> ſolle? Er ſehe nichts vor ſich, wenn man ihn ver-<lb/> ſtoſſe, als ein Leben voller Jammer, denn er muͤſſe<lb/> nothwendig Soldat werden. Seine Aeltern ſeyen<lb/> arm, und koͤnnen ſich ſeiner auf keine Art anneh-<lb/> men. Dabey ſey ſein Vater ſo ſtreng, daß er ihm<lb/> nicht unter die Augen treten duͤrfe. Er wuͤrde die<lb/> Thuͤre vor ihm zuſchlieſſen, und ihn ſeinem Ungluͤck<lb/> uͤberlaſſen. Ob man einen armen reuigen Men-<lb/> ſchen ganz ins Elend ſtuͤrzen wolle? Sein Verge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [201/0205]
Siegwart ſchieben; aber bey einer genauern Un-
terſuchung, und als man ihm mit einer noch en-
gern Gefangenſchaft drohte, geſtand er ein, wo er
geweſen ſey, und was er da gemacht habe? Seine
Vergehen waren ſo, daß er, nach den Schulgeſe-
tzen, verſtoſſen werden mußte. Die Straſe ward
ihm auch angekuͤndigt, und ein paar Famuli wur-
den ſo gleich hingeſchickt, ſeine Sachen auf dem Zim-
mer einzupacken und wegzubringen. Jndeſſen leg-
te ſich der Heuchler aufs Bitten, und ſuchte alle
moͤgliche Kunſtgriffe hervor, ſeine Lehrer zum Mit-
leiden zu bewegen. Er warf ſich vor ihnen auf
die Knie nieder, weinte bitterlich, und ſagte, er
koͤnne nicht eher aufſtehen, als bis er wieder ange-
nommen werde. Auf ihren Ausſpruch komme es
an, ob er ſein Leben durch gluͤcklich, oder elend ſeyn
ſolle? Er ſehe nichts vor ſich, wenn man ihn ver-
ſtoſſe, als ein Leben voller Jammer, denn er muͤſſe
nothwendig Soldat werden. Seine Aeltern ſeyen
arm, und koͤnnen ſich ſeiner auf keine Art anneh-
men. Dabey ſey ſein Vater ſo ſtreng, daß er ihm
nicht unter die Augen treten duͤrfe. Er wuͤrde die
Thuͤre vor ihm zuſchlieſſen, und ihn ſeinem Ungluͤck
uͤberlaſſen. Ob man einen armen reuigen Men-
ſchen ganz ins Elend ſtuͤrzen wolle? Sein Verge-
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