von dem war sein Herz nicht mehr abzuziehen; sein Freund müßte denn lasterhaft geworden seyn. Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn er war in der Wahl seiner Freunde vorsichtig und langsam. Er machte keine Freundschaftsversiche- rungen, und bot seine Dienste niemals an; aber, sobald sein Freund sie nötig hatte, half er ihm, ohne was davon zu sagen.
Vierzehn Tage nach seiner Gefangenschaft wurde Kreutzner seinem Vater überliefert, und, auf dessen Verfügung, unter ein Kayserliches Re- giment in Ungarn gesteckt. Er hatte gewünscht, unsern Siegwart noch einmal zu sprechen; dieser verbat sichs aber, weil er ihn zu sehr verachtete; doch schickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld zu, weil er vom Famulus gehört hatte, daß er halb krank, und von allem Nöthigen entblößt sey.
Bald drauf schrieb Siegwart seiner Schwe- ster Therese, die er während seines genauern Um- gangs mit Kreutzner fast vergessen hatte. Er bat sie, wegen seines längern Schweigens, sehr beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig die Ursache davon, und berichtete ihr Kreutzners Schicksal. Von P. Philipp und Kronhelms Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr
von dem war ſein Herz nicht mehr abzuziehen; ſein Freund muͤßte denn laſterhaft geworden ſeyn. Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn er war in der Wahl ſeiner Freunde vorſichtig und langſam. Er machte keine Freundſchaftsverſiche- rungen, und bot ſeine Dienſte niemals an; aber, ſobald ſein Freund ſie noͤtig hatte, half er ihm, ohne was davon zu ſagen.
Vierzehn Tage nach ſeiner Gefangenſchaft wurde Kreutzner ſeinem Vater uͤberliefert, und, auf deſſen Verfuͤgung, unter ein Kayſerliches Re- giment in Ungarn geſteckt. Er hatte gewuͤnſcht, unſern Siegwart noch einmal zu ſprechen; dieſer verbat ſichs aber, weil er ihn zu ſehr verachtete; doch ſchickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld zu, weil er vom Famulus gehoͤrt hatte, daß er halb krank, und von allem Noͤthigen entbloͤßt ſey.
Bald drauf ſchrieb Siegwart ſeiner Schwe- ſter Thereſe, die er waͤhrend ſeines genauern Um- gangs mit Kreutzner faſt vergeſſen hatte. Er bat ſie, wegen ſeines laͤngern Schweigens, ſehr beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig die Urſache davon, und berichtete ihr Kreutzners Schickſal. Von P. Philipp und Kronhelms Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0214"n="210"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
von dem war ſein Herz nicht mehr abzuziehen;<lb/>ſein Freund muͤßte denn laſterhaft geworden ſeyn.<lb/>
Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn<lb/>
er war in der Wahl ſeiner Freunde vorſichtig und<lb/>
langſam. Er machte keine Freundſchaftsverſiche-<lb/>
rungen, und bot ſeine Dienſte niemals an; aber,<lb/>ſobald ſein Freund ſie noͤtig hatte, half er ihm,<lb/>
ohne was davon zu ſagen.</p><lb/><p>Vierzehn Tage nach ſeiner Gefangenſchaft<lb/>
wurde <hirendition="#fr">Kreutzner</hi>ſeinem Vater uͤberliefert, und,<lb/>
auf deſſen Verfuͤgung, unter ein Kayſerliches Re-<lb/>
giment in Ungarn geſteckt. Er hatte gewuͤnſcht,<lb/>
unſern <hirendition="#fr">Siegwart</hi> noch einmal zu ſprechen; dieſer<lb/>
verbat ſichs aber, weil er ihn zu ſehr verachtete;<lb/>
doch ſchickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld<lb/>
zu, weil er vom Famulus gehoͤrt hatte, daß er<lb/>
halb krank, und von allem Noͤthigen entbloͤßt ſey.</p><lb/><p>Bald drauf ſchrieb <hirendition="#fr">Siegwart</hi>ſeiner Schwe-<lb/>ſter <hirendition="#fr">Thereſe,</hi> die er waͤhrend ſeines genauern Um-<lb/>
gangs mit <hirendition="#fr">Kreutzner</hi> faſt vergeſſen hatte. Er<lb/>
bat ſie, wegen ſeines laͤngern Schweigens, ſehr<lb/>
beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig<lb/>
die Urſache davon, und berichtete ihr <hirendition="#fr">Kreutzners</hi><lb/>
Schickſal. Von P. <hirendition="#fr">Philipp</hi> und <hirendition="#fr">Kronhelms</hi><lb/>
Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr<lb/></p></div></body></text></TEI>
[210/0214]
von dem war ſein Herz nicht mehr abzuziehen;
ſein Freund muͤßte denn laſterhaft geworden ſeyn.
Dieß war ihm aber niemals noch begegnet, denn
er war in der Wahl ſeiner Freunde vorſichtig und
langſam. Er machte keine Freundſchaftsverſiche-
rungen, und bot ſeine Dienſte niemals an; aber,
ſobald ſein Freund ſie noͤtig hatte, half er ihm,
ohne was davon zu ſagen.
Vierzehn Tage nach ſeiner Gefangenſchaft
wurde Kreutzner ſeinem Vater uͤberliefert, und,
auf deſſen Verfuͤgung, unter ein Kayſerliches Re-
giment in Ungarn geſteckt. Er hatte gewuͤnſcht,
unſern Siegwart noch einmal zu ſprechen; dieſer
verbat ſichs aber, weil er ihn zu ſehr verachtete;
doch ſchickte er ihm noch aus Milleiden etwas Geld
zu, weil er vom Famulus gehoͤrt hatte, daß er
halb krank, und von allem Noͤthigen entbloͤßt ſey.
Bald drauf ſchrieb Siegwart ſeiner Schwe-
ſter Thereſe, die er waͤhrend ſeines genauern Um-
gangs mit Kreutzner faſt vergeſſen hatte. Er
bat ſie, wegen ſeines laͤngern Schweigens, ſehr
beweglich um Vergebung, meldete ihr offenherzig
die Urſache davon, und berichtete ihr Kreutzners
Schickſal. Von P. Philipp und Kronhelms
Lob war er ganz voll; am Schluß meldete er ihr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/214>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.