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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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ersten unerträglichsten Schmerz zu ersparen. Jch
kam drauf zu meinem Onkel, dem geheimen Rath
von Kronhelm in München, wo ichs auch recht gut
hatte, bis ich vor zwey Jahren hieher kam. Mein
Bruder kam an Hof, wo er noch ist; meine ältre Schwe-
ster kam auch zu meinem Onkel nach München, wo
sie sich nun recht glücklich an einen braven Mann
verheyrathet hat; und meine jüngste Schwester
mußte zu meinem Vater, wo sie noch ist. Das
gute Mädchen daurt mich; denn sie ist zwar gut
erzogen, aber jetzt soll sie, durch die freye Lebensart
bey meinem Vater, schon ziemlich verwildert seyn.
Friedmann bekam bald darauf, durch Vorschub mei-
nes Onkels, eine gute und einträgliche Bedienung.

Sieh, Xaver, das ist die Geschichte meiner,
nun beglückten Mutter, deren Andenken mir ewig
unvergeßlich und theuer seyn wird. Was ich dir
von meinem Vater gesagt habe, must du ja ver-
schweigen! Jch hab's noch keinem Menschen, aus-
ser dir, anvertraut.

Siegwart. Sey unbekümmert drüber, lie-
ber Kronhelm! Jch danke dir recht sehr für die
Erzälung. Sie hat mich unaussptechlich gerührt.
Jch habe tausendmal dabey an meine selige Mut-
ter gedacht, die soviel ähnliches mit deiner Mut-



erſten unertraͤglichſten Schmerz zu erſparen. Jch
kam drauf zu meinem Onkel, dem geheimen Rath
von Kronhelm in Muͤnchen, wo ichs auch recht gut
hatte, bis ich vor zwey Jahren hieher kam. Mein
Bruder kam an Hof, wo er noch iſt; meine aͤltre Schwe-
ſter kam auch zu meinem Onkel nach Muͤnchen, wo
ſie ſich nun recht gluͤcklich an einen braven Mann
verheyrathet hat; und meine juͤngſte Schweſter
mußte zu meinem Vater, wo ſie noch iſt. Das
gute Maͤdchen daurt mich; denn ſie iſt zwar gut
erzogen, aber jetzt ſoll ſie, durch die freye Lebensart
bey meinem Vater, ſchon ziemlich verwildert ſeyn.
Friedmann bekam bald darauf, durch Vorſchub mei-
nes Onkels, eine gute und eintraͤgliche Bedienung.

Sieh, Xaver, das iſt die Geſchichte meiner,
nun begluͤckten Mutter, deren Andenken mir ewig
unvergeßlich und theuer ſeyn wird. Was ich dir
von meinem Vater geſagt habe, muſt du ja ver-
ſchweigen! Jch hab’s noch keinem Menſchen, auſ-
ſer dir, anvertraut.

Siegwart. Sey unbekuͤmmert druͤber, lie-
ber Kronhelm! Jch danke dir recht ſehr fuͤr die
Erzaͤlung. Sie hat mich unausſptechlich geruͤhrt.
Jch habe tauſendmal dabey an meine ſelige Mut-
ter gedacht, die ſoviel aͤhnliches mit deiner Mut-

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[226/0230] erſten unertraͤglichſten Schmerz zu erſparen. Jch kam drauf zu meinem Onkel, dem geheimen Rath von Kronhelm in Muͤnchen, wo ichs auch recht gut hatte, bis ich vor zwey Jahren hieher kam. Mein Bruder kam an Hof, wo er noch iſt; meine aͤltre Schwe- ſter kam auch zu meinem Onkel nach Muͤnchen, wo ſie ſich nun recht gluͤcklich an einen braven Mann verheyrathet hat; und meine juͤngſte Schweſter mußte zu meinem Vater, wo ſie noch iſt. Das gute Maͤdchen daurt mich; denn ſie iſt zwar gut erzogen, aber jetzt ſoll ſie, durch die freye Lebensart bey meinem Vater, ſchon ziemlich verwildert ſeyn. Friedmann bekam bald darauf, durch Vorſchub mei- nes Onkels, eine gute und eintraͤgliche Bedienung. Sieh, Xaver, das iſt die Geſchichte meiner, nun begluͤckten Mutter, deren Andenken mir ewig unvergeßlich und theuer ſeyn wird. Was ich dir von meinem Vater geſagt habe, muſt du ja ver- ſchweigen! Jch hab’s noch keinem Menſchen, auſ- ſer dir, anvertraut. Siegwart. Sey unbekuͤmmert druͤber, lie- ber Kronhelm! Jch danke dir recht ſehr fuͤr die Erzaͤlung. Sie hat mich unausſptechlich geruͤhrt. Jch habe tauſendmal dabey an meine ſelige Mut- ter gedacht, die ſoviel aͤhnliches mit deiner Mut-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/230>, abgerufen am 24.11.2024.