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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Jch keine acht Tage, sagte Kunigund, die von
noch aufgeräumterem Gemüth war.

Abends auf dem Schlafzimmer fieng Sieg-
wart
an: Hör, Kronhelm, die Geschichte mit der
Bauerfrau gieng mir den ganzen Tag | nach.
Du wirsts wol an mir gemerkt haben, denn ich
sprach deßwegen in der Gesellschaft fast kein Wort.
Wir müssen der armen Frau warhaftig helfen. Sieh,
da hab ich schon drey Gulden in ein Papierchen einge-
wickelt; wenn wirs ihr nur auf eine gute Art könn-
ten zukommen lassen! Weist du nicht, wie wirs
machen?

Kronhelm. Du bist ein herrlicher Knabe,
Siegwart; hast ein trefliches Gemüth! Sey nur
unbesorgt! Jch habs diesen Abend schon gehört;
der Mann, dessen Frau im Thurm liegt, ist ein
reicher Söldner, der die 3 Gulden leicht geben kann;
und Morgen wird er sie meinem Vater gleich zu-
schicken; diesen Abend wars nur zu spät. -- Nicht
wahr, mein Vater ist ein harter Mann? So
hab ich ihn aber auch noch nie gesehen. Es wird
immer ärger, und die leichtsinnige Gesellschaft macht
sein Gefühl immer stumpfer.

Siegwart. Sag: die Jagd auch! Wer
Tag und Nacht aufs arme Wild laurt und bestän-



Jch keine acht Tage, ſagte Kunigund, die von
noch aufgeraͤumterem Gemuͤth war.

Abends auf dem Schlafzimmer fieng Sieg-
wart
an: Hoͤr, Kronhelm, die Geſchichte mit der
Bauerfrau gieng mir den ganzen Tag | nach.
Du wirſts wol an mir gemerkt haben, denn ich
ſprach deßwegen in der Geſellſchaft faſt kein Wort.
Wir muͤſſen der armen Frau warhaftig helfen. Sieh,
da hab ich ſchon drey Gulden in ein Papierchen einge-
wickelt; wenn wirs ihr nur auf eine gute Art koͤnn-
ten zukommen laſſen! Weiſt du nicht, wie wirs
machen?

Kronhelm. Du biſt ein herrlicher Knabe,
Siegwart; haſt ein trefliches Gemuͤth! Sey nur
unbeſorgt! Jch habs dieſen Abend ſchon gehoͤrt;
der Mann, deſſen Frau im Thurm liegt, iſt ein
reicher Soͤldner, der die 3 Gulden leicht geben kann;
und Morgen wird er ſie meinem Vater gleich zu-
ſchicken; dieſen Abend wars nur zu ſpaͤt. — Nicht
wahr, mein Vater iſt ein harter Mann? So
hab ich ihn aber auch noch nie geſehen. Es wird
immer aͤrger, und die leichtſinnige Geſellſchaft macht
ſein Gefuͤhl immer ſtumpfer.

Siegwart. Sag: die Jagd auch! Wer
Tag und Nacht aufs arme Wild laurt und beſtaͤn-

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[277/0281] Jch keine acht Tage, ſagte Kunigund, die von noch aufgeraͤumterem Gemuͤth war. Abends auf dem Schlafzimmer fieng Sieg- wart an: Hoͤr, Kronhelm, die Geſchichte mit der Bauerfrau gieng mir den ganzen Tag | nach. Du wirſts wol an mir gemerkt haben, denn ich ſprach deßwegen in der Geſellſchaft faſt kein Wort. Wir muͤſſen der armen Frau warhaftig helfen. Sieh, da hab ich ſchon drey Gulden in ein Papierchen einge- wickelt; wenn wirs ihr nur auf eine gute Art koͤnn- ten zukommen laſſen! Weiſt du nicht, wie wirs machen? Kronhelm. Du biſt ein herrlicher Knabe, Siegwart; haſt ein trefliches Gemuͤth! Sey nur unbeſorgt! Jch habs dieſen Abend ſchon gehoͤrt; der Mann, deſſen Frau im Thurm liegt, iſt ein reicher Soͤldner, der die 3 Gulden leicht geben kann; und Morgen wird er ſie meinem Vater gleich zu- ſchicken; dieſen Abend wars nur zu ſpaͤt. — Nicht wahr, mein Vater iſt ein harter Mann? So hab ich ihn aber auch noch nie geſehen. Es wird immer aͤrger, und die leichtſinnige Geſellſchaft macht ſein Gefuͤhl immer ſtumpfer. Siegwart. Sag: die Jagd auch! Wer Tag und Nacht aufs arme Wild laurt und beſtaͤn-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/281>, abgerufen am 24.11.2024.