Als sie wieder auf der Schule ankamen, und sich beym Prior gemeldet hatten, so war ihr erster Gang zum braven P. Philipp. Wie erschracken sie, als das Zimmer, wegen der her- abgelassenen Vorhänge ganz dunkel war, und ihr lieber Pater im Bette lag! P. Johann saß ne- ben ihm, und hatte einen lateinischen Psalter in der Hand. Willkommen, lieben Freunde, sagte P. Philipp mit heiserer und leiser Stimme. Es ist mir lieb, daß ich euch noch sehe! Gott hat eine Veränderung mit mir beschlossen. Jch werd euch bald verlassen müssen. Mir gehts wohl! .. Die beyden Jünglinge konnten sich nicht länger halten; die hellen Thränen stürzten ihnen aus den Augen, und sie schluchzten laut. -- Gebt euch zufrieden, lieben Freunde! Mir gehts wohl; und Bruder Johann wird euch meine Stelle wie- der ersetzen; er liebt euch auch. ... Jch habe gnug auf der Welt gesehen .. Hab auch viel ge- litten .. Mir wirds wohl werden. Mein An- denken ist alles, was ich euch hinterlassen kann, und etliche Bücher, die ich aufgeschrieben habe .. Jhr bekommt nun einen Freund im Himmel mehr .. Um Christi willen hoff ichs .. Kron- helm, gib mir deine Hand! .. Du auch, Sieg-
Als ſie wieder auf der Schule ankamen, und ſich beym Prior gemeldet hatten, ſo war ihr erſter Gang zum braven P. Philipp. Wie erſchracken ſie, als das Zimmer, wegen der her- abgelaſſenen Vorhaͤnge ganz dunkel war, und ihr lieber Pater im Bette lag! P. Johann ſaß ne- ben ihm, und hatte einen lateiniſchen Pſalter in der Hand. Willkommen, lieben Freunde, ſagte P. Philipp mit heiſerer und leiſer Stimme. Es iſt mir lieb, daß ich euch noch ſehe! Gott hat eine Veraͤnderung mit mir beſchloſſen. Jch werd euch bald verlaſſen muͤſſen. Mir gehts wohl! .. Die beyden Juͤnglinge konnten ſich nicht laͤnger halten; die hellen Thraͤnen ſtuͤrzten ihnen aus den Augen, und ſie ſchluchzten laut. — Gebt euch zufrieden, lieben Freunde! Mir gehts wohl; und Bruder Johann wird euch meine Stelle wie- der erſetzen; er liebt euch auch. … Jch habe gnug auf der Welt geſehen .. Hab auch viel ge- litten .. Mir wirds wohl werden. Mein An- denken iſt alles, was ich euch hinterlaſſen kann, und etliche Buͤcher, die ich aufgeſchrieben habe .. Jhr bekommt nun einen Freund im Himmel mehr .. Um Chriſti willen hoff ichs .. Kron- helm, gib mir deine Hand! .. Du auch, Sieg-
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Als ſie wieder auf der Schule ankamen,
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ihr erſter Gang zum braven P. Philipp. Wie
erſchracken ſie, als das Zimmer, wegen der her-
abgelaſſenen Vorhaͤnge ganz dunkel war, und ihr
lieber Pater im Bette lag! P. Johann ſaß ne-
ben ihm, und hatte einen lateiniſchen Pſalter in
der Hand. Willkommen, lieben Freunde, ſagte
P. Philipp mit heiſerer und leiſer Stimme. Es
iſt mir lieb, daß ich euch noch ſehe! Gott hat
eine Veraͤnderung mit mir beſchloſſen. Jch werd
euch bald verlaſſen muͤſſen. Mir gehts wohl! ..
Die beyden Juͤnglinge konnten ſich nicht laͤnger
halten; die hellen Thraͤnen ſtuͤrzten ihnen aus
den Augen, und ſie ſchluchzten laut. — Gebt
euch zufrieden, lieben Freunde! Mir gehts wohl;
und Bruder Johann wird euch meine Stelle wie-
der erſetzen; er liebt euch auch. … Jch habe
gnug auf der Welt geſehen .. Hab auch viel ge-
litten .. Mir wirds wohl werden. Mein An-
denken iſt alles, was ich euch hinterlaſſen kann,
und etliche Buͤcher, die ich aufgeſchrieben habe ..
Jhr bekommt nun einen Freund im Himmel
mehr .. Um Chriſti willen hoff ichs .. Kron-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/308>, abgerufen am 22.11.2024.
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