Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.Hast du nichts zu trinken?*) u. s. w. Als Chri- stus einen Fußfall that, fiel das ganze Volk nie- der, und schlug sich auf die Brust, daß es wieder- hallte. Ein Lutheraner, der, wie viele andre, aus dem nächsten Orte gekommen war, das Schauspiel mit anzusehen, stund neben Siegwart, und fiel nicht mit auf die Knte. Sogleich entstand ein Gemurmel unter dem Volk, und einige schrien, schlagt den Ketzer nieder! Ein starker Kerl gab ihm auch wirklich einen Schlag auf den Kopf; aber Siegwart sprang auf, nahm den Ketzer bey der Hand, riß ihn aus dem Gedräng heraus, und brachte ihn in ein Wirtshaus in Sicherheit. Diese Handlung, die so edel und menschlich war, zog ihm den Haß seiner meisten Mitschüler zu, worinn sie P. Hyacinth, der ihm ohnedies nicht gut war, noch bestärkte; aber Siegwart machte sich nicht viel daraus, denn P. Philipp lobte sei- ne That, und rieth ihm nur an, künftig die ge- hörige Klugheit zu beobachten. *) Die Gewohnheit zu kreuzigen, die so vielem
Mißbrauch unterworfen war, ist jetzt auf Be- fehl der Kaiserinn in den österreichischen Lan- den abgeschafft. Anmerkung des Heraus- gebers. Haſt du nichts zu trinken?*) u. ſ. w. Als Chri- ſtus einen Fußfall that, fiel das ganze Volk nie- der, und ſchlug ſich auf die Bruſt, daß es wieder- hallte. Ein Lutheraner, der, wie viele andre, aus dem naͤchſten Orte gekommen war, das Schauſpiel mit anzuſehen, ſtund neben Siegwart, und fiel nicht mit auf die Knte. Sogleich entſtand ein Gemurmel unter dem Volk, und einige ſchrien, ſchlagt den Ketzer nieder! Ein ſtarker Kerl gab ihm auch wirklich einen Schlag auf den Kopf; aber Siegwart ſprang auf, nahm den Ketzer bey der Hand, riß ihn aus dem Gedraͤng heraus, und brachte ihn in ein Wirtshaus in Sicherheit. Dieſe Handlung, die ſo edel und menſchlich war, zog ihm den Haß ſeiner meiſten Mitſchuͤler zu, worinn ſie P. Hyacinth, der ihm ohnedies nicht gut war, noch beſtaͤrkte; aber Siegwart machte ſich nicht viel daraus, denn P. Philipp lobte ſei- ne That, und rieth ihm nur an, kuͤnftig die ge- hoͤrige Klugheit zu beobachten. *) Die Gewohnheit zu kreuzigen, die ſo vielem
Mißbrauch unterworfen war, iſt jetzt auf Be- fehl der Kaiſerinn in den oͤſterreichiſchen Lan- den abgeſchafft. Anmerkung des Heraus- gebers. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0334" n="330"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> Haſt du nichts zu trinken?<note place="foot" n="*)">Die Gewohnheit zu kreuzigen, die ſo vielem<lb/> Mißbrauch unterworfen war, iſt jetzt auf Be-<lb/> fehl der Kaiſerinn in den oͤſterreichiſchen Lan-<lb/> den abgeſchafft. <hi rendition="#fr">Anmerkung des Heraus-<lb/> gebers.</hi></note> u. ſ. w. Als Chri-<lb/> ſtus einen Fußfall that, fiel das ganze Volk nie-<lb/> der, und ſchlug ſich auf die Bruſt, daß es wieder-<lb/> hallte. Ein Lutheraner, der, wie viele andre, aus<lb/> dem naͤchſten Orte gekommen war, das Schauſpiel<lb/> mit anzuſehen, ſtund neben <hi rendition="#fr">Siegwart,</hi> und fiel<lb/> nicht mit auf die Knte. Sogleich entſtand ein<lb/> Gemurmel unter dem Volk, und einige ſchrien,<lb/> ſchlagt den Ketzer nieder! Ein ſtarker Kerl gab<lb/> ihm auch wirklich einen Schlag auf den Kopf;<lb/> aber <hi rendition="#fr">Siegwart</hi> ſprang auf, nahm den Ketzer<lb/> bey der Hand, riß ihn aus dem Gedraͤng heraus,<lb/> und brachte ihn in ein Wirtshaus in Sicherheit.<lb/> Dieſe Handlung, die ſo edel und menſchlich war,<lb/> zog ihm den Haß ſeiner meiſten Mitſchuͤler zu,<lb/> worinn ſie P. <hi rendition="#fr">Hyacinth,</hi> der ihm ohnedies nicht<lb/> gut war, noch beſtaͤrkte; aber <hi rendition="#fr">Siegwart</hi> machte<lb/> ſich nicht viel daraus, denn P. <hi rendition="#fr">Philipp</hi> lobte ſei-<lb/> ne That, und rieth ihm nur an, kuͤnftig die ge-<lb/> hoͤrige Klugheit zu beobachten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [330/0334]
Haſt du nichts zu trinken? *) u. ſ. w. Als Chri-
ſtus einen Fußfall that, fiel das ganze Volk nie-
der, und ſchlug ſich auf die Bruſt, daß es wieder-
hallte. Ein Lutheraner, der, wie viele andre, aus
dem naͤchſten Orte gekommen war, das Schauſpiel
mit anzuſehen, ſtund neben Siegwart, und fiel
nicht mit auf die Knte. Sogleich entſtand ein
Gemurmel unter dem Volk, und einige ſchrien,
ſchlagt den Ketzer nieder! Ein ſtarker Kerl gab
ihm auch wirklich einen Schlag auf den Kopf;
aber Siegwart ſprang auf, nahm den Ketzer
bey der Hand, riß ihn aus dem Gedraͤng heraus,
und brachte ihn in ein Wirtshaus in Sicherheit.
Dieſe Handlung, die ſo edel und menſchlich war,
zog ihm den Haß ſeiner meiſten Mitſchuͤler zu,
worinn ſie P. Hyacinth, der ihm ohnedies nicht
gut war, noch beſtaͤrkte; aber Siegwart machte
ſich nicht viel daraus, denn P. Philipp lobte ſei-
ne That, und rieth ihm nur an, kuͤnftig die ge-
hoͤrige Klugheit zu beobachten.
*) Die Gewohnheit zu kreuzigen, die ſo vielem
Mißbrauch unterworfen war, iſt jetzt auf Be-
fehl der Kaiſerinn in den oͤſterreichiſchen Lan-
den abgeſchafft. Anmerkung des Heraus-
gebers.
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