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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Unsre Jünglinge brachten theils mit P.
Philipp, theils unter einander den Frühling sehr
vergnügt zu. Sie giengen täglich spatzieren, be-
sonders in einen schönen Garten, der dem Kloster
gehörte, sie badeten in der Donau, und lasen
Kleists Gedichte und besonders seinen Früling.
Therese hatte ihrem Bruder geschrieben, er solle
sich vor allen andern Dichtern den Kleist kau-
fen, weil er das Landieben so ausserordentlich la-
chend und angenehm schildere. Jch liebe, schreibt
sie, diesen Mann nach Klopstock am meisten.
Er ist ein vertrauter Freund von meinem braven
Hauptmann Northern. Er hat drey Jahre zu-
gleich mit ihm im Feld gestanden, und soll der
beste, menschenfreundlichste Held seyn, der keinem
Menschen wissentlich Böses, wol aber Tausenden
Gutes thut. Ein Soldat, der menschlich denkt
und handelt, wie mein Hauptmann, ist gewiß
was seltnes und verehrungswürdiges. Vor zwey
Jahren ist der theure Kleist, nicht weit von
Hauptmann Northern verwundet worden, nach-
dem er erst wie ein Löw gestritten hatte. Nach
erschröcklichen Schmerzen starb er in Frankfurt
an der Oder. Hauptmann Northern, der auch
von den Russen gefangen worden, und bis an



Unſre Juͤnglinge brachten theils mit P.
Philipp, theils unter einander den Fruͤhling ſehr
vergnuͤgt zu. Sie giengen taͤglich ſpatzieren, be-
ſonders in einen ſchoͤnen Garten, der dem Kloſter
gehoͤrte, ſie badeten in der Donau, und laſen
Kleiſts Gedichte und beſonders ſeinen Fruͤling.
Thereſe hatte ihrem Bruder geſchrieben, er ſolle
ſich vor allen andern Dichtern den Kleiſt kau-
fen, weil er das Landieben ſo auſſerordentlich la-
chend und angenehm ſchildere. Jch liebe, ſchreibt
ſie, dieſen Mann nach Klopſtock am meiſten.
Er iſt ein vertrauter Freund von meinem braven
Hauptmann Northern. Er hat drey Jahre zu-
gleich mit ihm im Feld geſtanden, und ſoll der
beſte, menſchenfreundlichſte Held ſeyn, der keinem
Menſchen wiſſentlich Boͤſes, wol aber Tauſenden
Gutes thut. Ein Soldat, der menſchlich denkt
und handelt, wie mein Hauptmann, iſt gewiß
was ſeltnes und verehrungswuͤrdiges. Vor zwey
Jahren iſt der theure Kleiſt, nicht weit von
Hauptmann Northern verwundet worden, nach-
dem er erſt wie ein Loͤw geſtritten hatte. Nach
erſchroͤcklichen Schmerzen ſtarb er in Frankfurt
an der Oder. Hauptmann Northern, der auch
von den Ruſſen gefangen worden, und bis an

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[331/0335] Unſre Juͤnglinge brachten theils mit P. Philipp, theils unter einander den Fruͤhling ſehr vergnuͤgt zu. Sie giengen taͤglich ſpatzieren, be- ſonders in einen ſchoͤnen Garten, der dem Kloſter gehoͤrte, ſie badeten in der Donau, und laſen Kleiſts Gedichte und beſonders ſeinen Fruͤling. Thereſe hatte ihrem Bruder geſchrieben, er ſolle ſich vor allen andern Dichtern den Kleiſt kau- fen, weil er das Landieben ſo auſſerordentlich la- chend und angenehm ſchildere. Jch liebe, ſchreibt ſie, dieſen Mann nach Klopſtock am meiſten. Er iſt ein vertrauter Freund von meinem braven Hauptmann Northern. Er hat drey Jahre zu- gleich mit ihm im Feld geſtanden, und ſoll der beſte, menſchenfreundlichſte Held ſeyn, der keinem Menſchen wiſſentlich Boͤſes, wol aber Tauſenden Gutes thut. Ein Soldat, der menſchlich denkt und handelt, wie mein Hauptmann, iſt gewiß was ſeltnes und verehrungswuͤrdiges. Vor zwey Jahren iſt der theure Kleiſt, nicht weit von Hauptmann Northern verwundet worden, nach- dem er erſt wie ein Loͤw geſtritten hatte. Nach erſchroͤcklichen Schmerzen ſtarb er in Frankfurt an der Oder. Hauptmann Northern, der auch von den Ruſſen gefangen worden, und bis an

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/335>, abgerufen am 22.11.2024.