Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.ans Fenster, und sahn dem Blitzen zu. Einmal wurden sie durch einen Blitz so geblendet, daß sie beyde zurückfuhren, einige Augenblicke nichts, als blaues Licht um sich her sahen, sich anblick- ten und schwiegen. -- Gott! dachte Kronhelm, wenn der uns getödtet hätte! Und doch, dachte er zugleich, es wäre gut! Jch wär mit ihr ge- storben! Er sah sie an; ein Blitz erleuchtete ihr Gesicht; es sah blaß aus, und das Aug war naß, und glänzte. Er streichelte ihre Wangen; Sie waren von den Thränen ganz benetzt und kalt -- Sollten wir uns wiedersehen? sagte sie. -- Ja gewiß! antwortete er mit Heftigkeit; drückte ihr die Händ, und gab ihr einen Kuß. Es fieng nun auch an zu regnen, und sie wur- den sehr besorgt, daß sie nicht würde mitfahren können. Wenns nur aushört, sagte sie so hats nichts zu bedeuten! An den schlimmen Weg denk ich gar nicht. -- Sie setzten sich wieder an den Tisch; Therese stützte ihr Gesicht auf ihre Hand, und neigte sich über den Messias her. Jhre Seele ward nun auf Einmal heftiger bestürmt; der Gedanke an die immer näher rückende Tren- nung faste sie ganz; ihr Busen schlug heftiger; ein Seufzer folgte dem andern, und Kronhelm hörte die Thränentropsen auf das Buch fallen. Er ergrif ihre Hand; sie führte die seinige auf das Buch, und er fühlte, daß es naß war. Da that er in seinem Herzen einen Schwur, ihr ewig treu zu seyn! Und der Schwur war ihm so heilig als ob er ihn über dem Evangelio ge- schworen hätte. Der Donner ward immer stär- ker, und der Regen hestiger. -- Das ist eine hei- lige und feyerliche Nacht; sagte er. -- Um Eins kam der abnehmende Mond zuweilen zwischen ans Fenſter, und ſahn dem Blitzen zu. Einmal wurden ſie durch einen Blitz ſo geblendet, daß ſie beyde zuruͤckfuhren, einige Augenblicke nichts, als blaues Licht um ſich her ſahen, ſich anblick- ten und ſchwiegen. — Gott! dachte Kronhelm, wenn der uns getoͤdtet haͤtte! Und doch, dachte er zugleich, es waͤre gut! Jch waͤr mit ihr ge- ſtorben! Er ſah ſie an; ein Blitz erleuchtete ihr Geſicht; es ſah blaß aus, und das Aug war naß, und glaͤnzte. Er ſtreichelte ihre Wangen; Sie waren von den Thraͤnen ganz benetzt und kalt — Sollten wir uns wiederſehen? ſagte ſie. — Ja gewiß! antwortete er mit Heftigkeit; druͤckte ihr die Haͤnd, und gab ihr einen Kuß. Es fieng nun auch an zu regnen, und ſie wur- den ſehr beſorgt, daß ſie nicht wuͤrde mitfahren koͤnnen. Wenns nur auſhoͤrt, ſagte ſie ſo hats nichts zu bedeuten! An den ſchlimmen Weg denk ich gar nicht. — Sie ſetzten ſich wieder an den Tiſch; Thereſe ſtuͤtzte ihr Geſicht auf ihre Hand, und neigte ſich uͤber den Meſſias her. Jhre Seele ward nun auf Einmal heftiger beſtuͤrmt; der Gedanke an die immer naͤher ruͤckende Tren- nung faſte ſie ganz; ihr Buſen ſchlug heftiger; ein Seufzer folgte dem andern, und Kronhelm hoͤrte die Thraͤnentropſen auf das Buch fallen. Er ergrif ihre Hand; ſie fuͤhrte die ſeinige auf das Buch, und er fuͤhlte, daß es naß war. Da that er in ſeinem Herzen einen Schwur, ihr ewig treu zu ſeyn! Und der Schwur war ihm ſo heilig als ob er ihn uͤber dem Evangelio ge- ſchworen haͤtte. Der Donner ward immer ſtaͤr- ker, und der Regen heſtiger. — Das iſt eine hei- lige und feyerliche Nacht; ſagte er. — Um Eins kam der abnehmende Mond zuweilen zwiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0426" n="422"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ans Fenſter, und ſahn dem Blitzen zu. 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wurden ſie durch einen Blitz ſo geblendet, daß
ſie beyde zuruͤckfuhren, einige Augenblicke nichts,
als blaues Licht um ſich her ſahen, ſich anblick-
ten und ſchwiegen. — Gott! dachte Kronhelm,
wenn der uns getoͤdtet haͤtte! Und doch, dachte
er zugleich, es waͤre gut! Jch waͤr mit ihr ge-
ſtorben! Er ſah ſie an; ein Blitz erleuchtete ihr
Geſicht; es ſah blaß aus, und das Aug war
naß, und glaͤnzte. Er ſtreichelte ihre Wangen;
Sie waren von den Thraͤnen ganz benetzt und
kalt — Sollten wir uns wiederſehen? ſagte ſie.
— Ja gewiß! antwortete er mit Heftigkeit;
druͤckte ihr die Haͤnd, und gab ihr einen Kuß.
Es fieng nun auch an zu regnen, und ſie wur-
den ſehr beſorgt, daß ſie nicht wuͤrde mitfahren
koͤnnen. Wenns nur auſhoͤrt, ſagte ſie ſo hats
nichts zu bedeuten! An den ſchlimmen Weg denk
ich gar nicht. — Sie ſetzten ſich wieder an den
Tiſch; Thereſe ſtuͤtzte ihr Geſicht auf ihre Hand,
und neigte ſich uͤber den Meſſias her. Jhre
Seele ward nun auf Einmal heftiger beſtuͤrmt;
der Gedanke an die immer naͤher ruͤckende Tren-
nung faſte ſie ganz; ihr Buſen ſchlug heftiger;
ein Seufzer folgte dem andern, und Kronhelm
hoͤrte die Thraͤnentropſen auf das Buch fallen.
Er ergrif ihre Hand; ſie fuͤhrte die ſeinige auf
das Buch, und er fuͤhlte, daß es naß war. Da
that er in ſeinem Herzen einen Schwur, ihr
ewig treu zu ſeyn! Und der Schwur war ihm
ſo heilig als ob er ihn uͤber dem Evangelio ge-
ſchworen haͤtte. Der Donner ward immer ſtaͤr-
ker, und der Regen heſtiger. — Das iſt eine hei-
lige und feyerliche Nacht; ſagte er. — Um Eins
kam der abnehmende Mond zuweilen zwiſchen
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Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/426>, abgerufen am 16.02.2025. |