Jhro Wohlehrwürd -- So? Hast du nicht selbst angefangen, du? rief das Weib, und trat aus dem Winkel hervor.
Eins nach dem andern, lieben Kinder! sagte Anton, setzte sich auf eine Bank und winkte dem jungen Siegwart, es auch zu thun -- Eins nach dem andern! Sonst kann ich nicht draus klug werden, wer Recht oder Unrecht hat? Jhr seyd noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzälen, wie der Handel angieng?
Die Frau. Ja, Jhr Wohlehrwürd, sehn Sie nur, da stund ich da draussen vor der Thür, und nahm meiner Kinder Wäsche vom Seil herab; kommt da ein armer Söldner vom nächsten Lu- therschen Dorf her, der schon drey Jahr mit der Schwindsucht zu thun hat, und keinen Menschen, der sich seiner annimmt, weil er arm ist, und ein Fremder, aus dem Salzburgerland, da von den Vertriebenen, wie Sie werden g'hört haben -- Der kömmt, an zwey Stöcken, daß er kaum aus der Stelle kommen kann, sieht aus, wie der bit- tre Tod, der leibhafte Hunger gukt' ihm aus den Augen, und bittet mich um Gottes und um Je- sus willen um ein Stücklein Brod, und einen halben Scherben saure Milch, weil er noch den
Jhro Wohlehrwuͤrd — So? Haſt du nicht ſelbſt angefangen, du? rief das Weib, und trat aus dem Winkel hervor.
Eins nach dem andern, lieben Kinder! ſagte Anton, ſetzte ſich auf eine Bank und winkte dem jungen Siegwart, es auch zu thun — Eins nach dem andern! Sonſt kann ich nicht draus klug werden, wer Recht oder Unrecht hat? Jhr ſeyd noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzaͤlen, wie der Handel angieng?
Die Frau. Ja, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſehn Sie nur, da ſtund ich da drauſſen vor der Thuͤr, und nahm meiner Kinder Waͤſche vom Seil herab; kommt da ein armer Soͤldner vom naͤchſten Lu- therſchen Dorf her, der ſchon drey Jahr mit der Schwindſucht zu thun hat, und keinen Menſchen, der ſich ſeiner annimmt, weil er arm iſt, und ein Fremder, aus dem Salzburgerland, da von den Vertriebenen, wie Sie werden g’hoͤrt haben — Der koͤmmt, an zwey Stoͤcken, daß er kaum aus der Stelle kommen kann, ſieht aus, wie der bit- tre Tod, der leibhafte Hunger gukt’ ihm aus den Augen, und bittet mich um Gottes und um Je- ſus willen um ein Stuͤcklein Brod, und einen halben Scherben ſaure Milch, weil er noch den
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Jhro Wohlehrwuͤrd — So? Haſt du nicht ſelbſt
angefangen, du? rief das Weib, und trat aus
dem Winkel hervor.
Eins nach dem andern, lieben Kinder! ſagte
Anton, ſetzte ſich auf eine Bank und winkte dem
jungen Siegwart, es auch zu thun — Eins nach
dem andern! Sonſt kann ich nicht draus klug
werden, wer Recht oder Unrecht hat? Jhr ſeyd
noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzaͤlen,
wie der Handel angieng?
Die Frau. Ja, Jhr Wohlehrwuͤrd, ſehn Sie
nur, da ſtund ich da drauſſen vor der Thuͤr, und
nahm meiner Kinder Waͤſche vom Seil herab;
kommt da ein armer Soͤldner vom naͤchſten Lu-
therſchen Dorf her, der ſchon drey Jahr mit der
Schwindſucht zu thun hat, und keinen Menſchen,
der ſich ſeiner annimmt, weil er arm iſt, und ein
Fremder, aus dem Salzburgerland, da von den
Vertriebenen, wie Sie werden g’hoͤrt haben —
Der koͤmmt, an zwey Stoͤcken, daß er kaum aus
der Stelle kommen kann, ſieht aus, wie der bit-
tre Tod, der leibhafte Hunger gukt’ ihm aus den
Augen, und bittet mich um Gottes und um Je-
ſus willen um ein Stuͤcklein Brod, und einen
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/59>, abgerufen am 21.11.2024.
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