Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.zu verbergen. Dieser Auftritt machte auf sein gan- zes Leben einen tiefen Eindruck in sein Herz. Es hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn er den Lutheranern und den Juden ärger als dem Vieh begegnen sah. Er dachte immer, ob denn Gott so abscheuliche Menschen auf der Welt dul- den könne, die man so verachten müsse? Und nun hatte er den P. Anton noch gedoppelt lieb, weil er so seine Meynung hatte, die er nie an Tag zu legen wagen durfte. Der Bauer war nun so lieb- reich und freundlich, wollte alles auftragen, was er hatte, um dem Pater nur recht seine herzliche Dank- barkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Luthera- nern begegnete er von dem Augenblick an, und sein ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zärtlich- keit, und ungeheuchelter christlicher Liebe. Wenn er hitzig werden wollte, fiel ihm dieser Tag, und das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum tief eindringende Zureden des P. Anton ein, und da war wieder Fried und Menschenliebe in seiner Seele. Er schafte sich heimlich eine Bibel an, und las am Sonntag, oder an den langen Win- terabenden darinn, und da fand er, daß Gott kei- ner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer zu hassen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das zu verbergen. Dieſer Auftritt machte auf ſein gan- zes Leben einen tiefen Eindruck in ſein Herz. Es hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn er den Lutheranern und den Juden aͤrger als dem Vieh begegnen ſah. Er dachte immer, ob denn Gott ſo abſcheuliche Menſchen auf der Welt dul- den koͤnne, die man ſo verachten muͤſſe? Und nun hatte er den P. Anton noch gedoppelt lieb, weil er ſo ſeine Meynung hatte, die er nie an Tag zu legen wagen durfte. Der Bauer war nun ſo lieb- reich und freundlich, wollte alles auftragen, was er hatte, um dem Pater nur recht ſeine herzliche Dank- barkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Luthera- nern begegnete er von dem Augenblick an, und ſein ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zaͤrtlich- keit, und ungeheuchelter chriſtlicher Liebe. Wenn er hitzig werden wollte, fiel ihm dieſer Tag, und das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum tief eindringende Zureden des P. Anton ein, und da war wieder Fried und Menſchenliebe in ſeiner Seele. Er ſchafte ſich heimlich eine Bibel an, und las am Sonntag, oder an den langen Win- terabenden darinn, und da fand er, daß Gott kei- ner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer zu haſſen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0068" n="64"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> zu verbergen. Dieſer Auftritt machte auf ſein gan-<lb/> zes Leben einen tiefen Eindruck in ſein Herz. Es<lb/> hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn<lb/> er den Lutheranern und den Juden aͤrger als dem<lb/> Vieh begegnen ſah. Er dachte immer, ob denn<lb/> Gott ſo abſcheuliche Menſchen auf der Welt dul-<lb/> den koͤnne, die man ſo verachten muͤſſe? Und nun<lb/> hatte er den P. <hi rendition="#fr">Anton</hi> noch gedoppelt lieb, weil<lb/> er ſo ſeine Meynung hatte, die er nie an Tag zu<lb/> legen wagen durfte. Der Bauer war nun ſo lieb-<lb/> reich und freundlich, wollte alles auftragen, was er<lb/> hatte, um dem Pater nur recht ſeine herzliche Dank-<lb/> barkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Luthera-<lb/> nern begegnete er von dem Augenblick an, und ſein<lb/> ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zaͤrtlich-<lb/> keit, und ungeheuchelter chriſtlicher Liebe. Wenn<lb/> er hitzig werden wollte, fiel ihm dieſer Tag, und<lb/> das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum<lb/> tief eindringende Zureden des P. <hi rendition="#fr">Anton</hi> ein, und<lb/> da war wieder Fried und Menſchenliebe in ſeiner<lb/> Seele. Er ſchafte ſich heimlich eine Bibel an,<lb/> und las am Sonntag, oder an den langen Win-<lb/> terabenden darinn, und da fand er, daß Gott kei-<lb/> ner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer<lb/> zu haſſen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [64/0068]
zu verbergen. Dieſer Auftritt machte auf ſein gan-
zes Leben einen tiefen Eindruck in ſein Herz. Es
hatte ihm immer in der Seele weh gethan, wenn
er den Lutheranern und den Juden aͤrger als dem
Vieh begegnen ſah. Er dachte immer, ob denn
Gott ſo abſcheuliche Menſchen auf der Welt dul-
den koͤnne, die man ſo verachten muͤſſe? Und nun
hatte er den P. Anton noch gedoppelt lieb, weil
er ſo ſeine Meynung hatte, die er nie an Tag zu
legen wagen durfte. Der Bauer war nun ſo lieb-
reich und freundlich, wollte alles auftragen, was er
hatte, um dem Pater nur recht ſeine herzliche Dank-
barkeit zu bezeugen. Seiner Frau, und den Luthera-
nern begegnete er von dem Augenblick an, und ſein
ganzes Leben durch, mit wahrer ehelicher Zaͤrtlich-
keit, und ungeheuchelter chriſtlicher Liebe. Wenn
er hitzig werden wollte, fiel ihm dieſer Tag, und
das ungelehrte aber treuherzige, und eben darum
tief eindringende Zureden des P. Anton ein, und
da war wieder Fried und Menſchenliebe in ſeiner
Seele. Er ſchafte ſich heimlich eine Bibel an,
und las am Sonntag, oder an den langen Win-
terabenden darinn, und da fand er, daß Gott kei-
ner Religionsparthey befohlen habe, die Ketzer
zu haſſen, oder zu verfolgen; vielmehr daß das
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