Jndem sprang er weg, ließ Wein und Bier und Wecken holen, und kam selbst mit einem Tel- ler voll Fleisch ins Zimmer. Da, ihr Wohlehr- würd, es ist noch frisch; lassen Sie sichs brav belie- ben; und Er auch, junger Herr! Anton und Sieg- wart verbatens; Man setzte sich um den Tisch her- um, und nun fieng Franz an:
Franz. Was ich Jhnen sagen wollt, Jhr Wohlehrwürd und worüber ich lang gern mit Jh- nen gesprochen hätt, ist halt für mich eine traurige Sach, die mir schon viel Herzeleid gemacht hat. Da hab ich einen ungerathnen Sohn; es ist noch darzu mein einzig Kind; Sie werden ihn wol ge- sehen haben; Er steht da im Garten draussen; der will mir übern Kopf wachsen, will klüger seyn, als ich und seine Mutter, die ihm nur zu viel nach- sieht, und hat sich schon seit Jahr und Tag, ohne daß wir das geringste davon wußten, an ein Mädel hier im Dorf gehängt, und das Mädel hat nichts, ist des Jörg Silbers Tochter, und ich hab ihm längst schon in Gedanken etwas besseres ausersehen. Wie ich nun vor 3 Wochen so von ungefähr da- hinter komme, daß er das Mädel karessirt, und alle Nacht, wenn wir zu Bett sind, noch mit ihr im Mondschein herumspatziert, oder auf dem Kirch-
Jndem ſprang er weg, ließ Wein und Bier und Wecken holen, und kam ſelbſt mit einem Tel- ler voll Fleiſch ins Zimmer. Da, ihr Wohlehr- wuͤrd, es iſt noch friſch; laſſen Sie ſichs brav belie- ben; und Er auch, junger Herr! Anton und Sieg- wart verbatens; Man ſetzte ſich um den Tiſch her- um, und nun fieng Franz an:
Franz. Was ich Jhnen ſagen wollt, Jhr Wohlehrwuͤrd und woruͤber ich lang gern mit Jh- nen geſprochen haͤtt, iſt halt fuͤr mich eine traurige Sach, die mir ſchon viel Herzeleid gemacht hat. Da hab ich einen ungerathnen Sohn; es iſt noch darzu mein einzig Kind; Sie werden ihn wol ge- ſehen haben; Er ſteht da im Garten drauſſen; der will mir uͤbern Kopf wachſen, will kluͤger ſeyn, als ich und ſeine Mutter, die ihm nur zu viel nach- ſieht, und hat ſich ſchon ſeit Jahr und Tag, ohne daß wir das geringſte davon wußten, an ein Maͤdel hier im Dorf gehaͤngt, und das Maͤdel hat nichts, iſt des Joͤrg Silbers Tochter, und ich hab ihm laͤngſt ſchon in Gedanken etwas beſſeres auserſehen. Wie ich nun vor 3 Wochen ſo von ungefaͤhr da- hinter komme, daß er das Maͤdel kareſſirt, und alle Nacht, wenn wir zu Bett ſind, noch mit ihr im Mondſchein herumſpatziert, oder auf dem Kirch-
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Jndem ſprang er weg, ließ Wein und Bier
und Wecken holen, und kam ſelbſt mit einem Tel-
ler voll Fleiſch ins Zimmer. Da, ihr Wohlehr-
wuͤrd, es iſt noch friſch; laſſen Sie ſichs brav belie-
ben; und Er auch, junger Herr! Anton und Sieg-
wart verbatens; Man ſetzte ſich um den Tiſch her-
um, und nun fieng Franz an:
Franz. Was ich Jhnen ſagen wollt, Jhr
Wohlehrwuͤrd und woruͤber ich lang gern mit Jh-
nen geſprochen haͤtt, iſt halt fuͤr mich eine traurige
Sach, die mir ſchon viel Herzeleid gemacht hat.
Da hab ich einen ungerathnen Sohn; es iſt noch
darzu mein einzig Kind; Sie werden ihn wol ge-
ſehen haben; Er ſteht da im Garten drauſſen; der
will mir uͤbern Kopf wachſen, will kluͤger ſeyn, als
ich und ſeine Mutter, die ihm nur zu viel nach-
ſieht, und hat ſich ſchon ſeit Jahr und Tag, ohne
daß wir das geringſte davon wußten, an ein Maͤdel
hier im Dorf gehaͤngt, und das Maͤdel hat nichts,
iſt des Joͤrg Silbers Tochter, und ich hab ihm
laͤngſt ſchon in Gedanken etwas beſſeres auserſehen.
Wie ich nun vor 3 Wochen ſo von ungefaͤhr da-
hinter komme, daß er das Maͤdel kareſſirt, und
alle Nacht, wenn wir zu Bett ſind, noch mit ihr
im Mondſchein herumſpatziert, oder auf dem Kirch-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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