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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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das Mädel nicht lassen, woll mit ihr leben und
sterben; es könn ihr kein Mensch im Dorf etwas
böses nachsagen, sie hab immer brav gethan, und
er hab ihr im Namen der heiligen Jungfrau, und
aller Heiligen im Himmel am Osterabend zuge-
schworen, sie zum Weib zu nehmen, und den Tag
drauf hab er auch das heilige Nachtmahl drauf
genommen. Und nun sey sie sein, und müs-
se sein bleiben! -- Jch wuste bey Gott nicht,
was ich vor Zorn sagen sollte. Die Mutter woll-
te sich durch sein Greinen schon herum bringen
lassen, ich stieß sie aber bey der Thür hinaus,
und sagt ihm noch einmal, er wisse meine Mey-
nung nun, und könne sich darnach richten. Wenn
ich wieder was erfahre, woll ich ihn ins Loch
stecken lassen, und da könn er sitzen bleiben, bis
mein Schimmel schwarz werde. Er sagt', es sey
schon recht, und trotzig gieng weg. Etlich Tage gieng
er nun herum, wie vor den Kopf geschlagen, aß
und trank und sprach nichts, gab kaum Antwort,
wenn man ihn um etwas fragte, und Abends,
sagten meine Leute, lieg er immer unterm Kam-
merfenster, kratz die Wand mit den Nägeln
heraus, spreche was für sich oder pfeif, und dann
wisch er sich wieder das Gesicht, als ob er weinte.



das Maͤdel nicht laſſen, woll mit ihr leben und
ſterben; es koͤnn ihr kein Menſch im Dorf etwas
boͤſes nachſagen, ſie hab immer brav gethan, und
er hab ihr im Namen der heiligen Jungfrau, und
aller Heiligen im Himmel am Oſterabend zuge-
ſchworen, ſie zum Weib zu nehmen, und den Tag
drauf hab er auch das heilige Nachtmahl drauf
genommen. Und nun ſey ſie ſein, und muͤſ-
ſe ſein bleiben! — Jch wuſte bey Gott nicht,
was ich vor Zorn ſagen ſollte. Die Mutter woll-
te ſich durch ſein Greinen ſchon herum bringen
laſſen, ich ſtieß ſie aber bey der Thuͤr hinaus,
und ſagt ihm noch einmal, er wiſſe meine Mey-
nung nun, und koͤnne ſich darnach richten. Wenn
ich wieder was erfahre, woll ich ihn ins Loch
ſtecken laſſen, und da koͤnn er ſitzen bleiben, bis
mein Schimmel ſchwarz werde. Er ſagt’, es ſey
ſchon recht, und trotzig gieng weg. Etlich Tage gieng
er nun herum, wie vor den Kopf geſchlagen, aß
und trank und ſprach nichts, gab kaum Antwort,
wenn man ihn um etwas fragte, und Abends,
ſagten meine Leute, lieg er immer unterm Kam-
merfenſter, kratz die Wand mit den Naͤgeln
heraus, ſpreche was fuͤr ſich oder pfeif, und dann
wiſch er ſich wieder das Geſicht, als ob er weinte.

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[69/0073] das Maͤdel nicht laſſen, woll mit ihr leben und ſterben; es koͤnn ihr kein Menſch im Dorf etwas boͤſes nachſagen, ſie hab immer brav gethan, und er hab ihr im Namen der heiligen Jungfrau, und aller Heiligen im Himmel am Oſterabend zuge- ſchworen, ſie zum Weib zu nehmen, und den Tag drauf hab er auch das heilige Nachtmahl drauf genommen. Und nun ſey ſie ſein, und muͤſ- ſe ſein bleiben! — Jch wuſte bey Gott nicht, was ich vor Zorn ſagen ſollte. Die Mutter woll- te ſich durch ſein Greinen ſchon herum bringen laſſen, ich ſtieß ſie aber bey der Thuͤr hinaus, und ſagt ihm noch einmal, er wiſſe meine Mey- nung nun, und koͤnne ſich darnach richten. Wenn ich wieder was erfahre, woll ich ihn ins Loch ſtecken laſſen, und da koͤnn er ſitzen bleiben, bis mein Schimmel ſchwarz werde. Er ſagt’, es ſey ſchon recht, und trotzig gieng weg. Etlich Tage gieng er nun herum, wie vor den Kopf geſchlagen, aß und trank und ſprach nichts, gab kaum Antwort, wenn man ihn um etwas fragte, und Abends, ſagten meine Leute, lieg er immer unterm Kam- merfenſter, kratz die Wand mit den Naͤgeln heraus, ſpreche was fuͤr ſich oder pfeif, und dann wiſch er ſich wieder das Geſicht, als ob er weinte.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/73>, abgerufen am 24.11.2024.