Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite


Holla, dacht ich, das ist schon gut; die jun-
gen Leutlein sind immer so, wenn ihnen etwas
durch den Sinn fährt. Weh muß es ihm frey-
lich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen
das Mädchen, 's ist ein brav schön Ding, nur
daß sie nicht reich ist. Kommt Zeit, kommt Rath!
Nach und nach wirds schon besser, und das Grei-
nen wird ihm schon entleiden. Wenn ich ihm
nur erst von des Wirths Susanna sage, denn
die hab ich -- hier in der Stube g'redt -- im
Sinn. Jch war also ganz ruhig, that aber freund-
lich gegen ihn, denn ich sah, daß er mager wur-
de, weil er Nachts gar nicht schlief.

Jch denk, es ist alles gut; er ward wieder
muntrer, that seine Arbeit, und guckte Abends nicht
mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der
Teufel -- verzeih mirs Gott! -- wieder los geht.
Jch lieg Abends schon im Bett -- es war halb
zehn Uhr -- da fangen die Gäul an, im Stall
zu schlagen; ich ruf meinem Sixt, weil der Knecht
über Feld war; aber da war kein Sixt. Jch
stund auf, gieng selber in den Stall, band den
Schimmel an, der sich losgerissen hatte, und visi-
tirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da
war der Vogel ausgeflogen. Jch frug mein Weib,



Holla, dacht ich, das iſt ſchon gut; die jun-
gen Leutlein ſind immer ſo, wenn ihnen etwas
durch den Sinn faͤhrt. Weh muß es ihm frey-
lich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen
das Maͤdchen, ’s iſt ein brav ſchoͤn Ding, nur
daß ſie nicht reich iſt. Kommt Zeit, kommt Rath!
Nach und nach wirds ſchon beſſer, und das Grei-
nen wird ihm ſchon entleiden. Wenn ich ihm
nur erſt von des Wirths Suſanna ſage, denn
die hab ich — hier in der Stube g’redt — im
Sinn. Jch war alſo ganz ruhig, that aber freund-
lich gegen ihn, denn ich ſah, daß er mager wur-
de, weil er Nachts gar nicht ſchlief.

Jch denk, es iſt alles gut; er ward wieder
muntrer, that ſeine Arbeit, und guckte Abends nicht
mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der
Teufel — verzeih mirs Gott! — wieder los geht.
Jch lieg Abends ſchon im Bett — es war halb
zehn Uhr — da fangen die Gaͤul an, im Stall
zu ſchlagen; ich ruf meinem Sixt, weil der Knecht
uͤber Feld war; aber da war kein Sixt. Jch
ſtund auf, gieng ſelber in den Stall, band den
Schimmel an, der ſich losgeriſſen hatte, und viſi-
tirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da
war der Vogel ausgeflogen. Jch frug mein Weib,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0074" n="70"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Holla, dacht ich, das i&#x017F;t &#x017F;chon gut; die jun-<lb/>
gen Leutlein &#x017F;ind immer &#x017F;o, wenn ihnen etwas<lb/>
durch den Sinn fa&#x0364;hrt. Weh muß es ihm frey-<lb/>
lich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen<lb/>
das Ma&#x0364;dchen, &#x2019;s i&#x017F;t ein brav &#x017F;cho&#x0364;n Ding, nur<lb/>
daß &#x017F;ie nicht reich i&#x017F;t. Kommt Zeit, kommt Rath!<lb/>
Nach und nach wirds &#x017F;chon be&#x017F;&#x017F;er, und das Grei-<lb/>
nen wird ihm &#x017F;chon entleiden. Wenn ich ihm<lb/>
nur er&#x017F;t von des Wirths <hi rendition="#fr">Su&#x017F;anna</hi> &#x017F;age, denn<lb/>
die hab ich &#x2014; hier in der Stube g&#x2019;redt &#x2014; im<lb/>
Sinn. Jch war al&#x017F;o ganz ruhig, that aber freund-<lb/>
lich gegen ihn, denn ich &#x017F;ah, daß er mager wur-<lb/>
de, weil er Nachts gar nicht &#x017F;chlief.</p><lb/>
        <p>Jch denk, es i&#x017F;t alles gut; er ward wieder<lb/>
muntrer, that &#x017F;eine Arbeit, und guckte Abends nicht<lb/>
mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der<lb/>
Teufel &#x2014; verzeih mirs Gott! &#x2014; wieder los geht.<lb/>
Jch lieg Abends &#x017F;chon im Bett &#x2014; es war halb<lb/>
zehn Uhr &#x2014; da fangen die Ga&#x0364;ul an, im Stall<lb/>
zu &#x017F;chlagen; ich ruf meinem <hi rendition="#fr">Sixt,</hi> weil der Knecht<lb/>
u&#x0364;ber Feld war; aber da war kein <hi rendition="#fr">Sixt.</hi> Jch<lb/>
&#x017F;tund auf, gieng &#x017F;elber in den Stall, band den<lb/>
Schimmel an, der &#x017F;ich losgeri&#x017F;&#x017F;en hatte, und vi&#x017F;i-<lb/>
tirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da<lb/>
war der Vogel ausgeflogen. Jch frug mein Weib,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0074] Holla, dacht ich, das iſt ſchon gut; die jun- gen Leutlein ſind immer ſo, wenn ihnen etwas durch den Sinn faͤhrt. Weh muß es ihm frey- lich thun, denn im Grunde hab ich nichts gegen das Maͤdchen, ’s iſt ein brav ſchoͤn Ding, nur daß ſie nicht reich iſt. Kommt Zeit, kommt Rath! Nach und nach wirds ſchon beſſer, und das Grei- nen wird ihm ſchon entleiden. Wenn ich ihm nur erſt von des Wirths Suſanna ſage, denn die hab ich — hier in der Stube g’redt — im Sinn. Jch war alſo ganz ruhig, that aber freund- lich gegen ihn, denn ich ſah, daß er mager wur- de, weil er Nachts gar nicht ſchlief. Jch denk, es iſt alles gut; er ward wieder muntrer, that ſeine Arbeit, und guckte Abends nicht mehr aus der Kammer, bis vor acht Tagen der Teufel — verzeih mirs Gott! — wieder los geht. Jch lieg Abends ſchon im Bett — es war halb zehn Uhr — da fangen die Gaͤul an, im Stall zu ſchlagen; ich ruf meinem Sixt, weil der Knecht uͤber Feld war; aber da war kein Sixt. Jch ſtund auf, gieng ſelber in den Stall, band den Schimmel an, der ſich losgeriſſen hatte, und viſi- tirte drauf in meines Sohns Bett; Sieh, da war der Vogel ausgeflogen. Jch frug mein Weib,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/74
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/74>, abgerufen am 21.11.2024.