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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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Siegwart, ein edelgesinnter Jüngling, war
auf einem Oettingischen Dorf in
Schwaben, an der Donau gebohren.
Sein Vater, ein Mann von ächt deutsch-schwä-
bischem Charakter, war seit vier und zwanzig Jah-
ren Amtmann auf dem Dorfe. Von seiner, ihm
zu früh verstorbnen Frau hatte er zwo Töchter,
und drey Söhne, wovon unser Siegwart der jüng-
ste war; ein geselliger Knabe, der sich nie mehr
fühlte, als wenn er andre Kinder lustig sah, ih-
nen Freude machen, und tausend kleine Gefällig-
keiten erweisen konnte. Wenn der Winter ihn
ins Zimmer einschloß, so war ihm nirgends wohl,
die Gesellschaft seiner ältern Brüder, und zwoer
muntrer Schwestern war ihm nicht groß genung;
er rief alle Baurenkinder, die sein Haus vorbey-
giengen, zu sich, und tummelte sich mit ihnen auf
dem Saal herum. Dann schlich er sich wieder



Siegwart, ein edelgeſinnter Juͤngling, war
auf einem Oettingiſchen Dorf in
Schwaben, an der Donau gebohren.
Sein Vater, ein Mann von aͤcht deutſch-ſchwaͤ-
biſchem Charakter, war ſeit vier und zwanzig Jah-
ren Amtmann auf dem Dorfe. Von ſeiner, ihm
zu fruͤh verſtorbnen Frau hatte er zwo Toͤchter,
und drey Soͤhne, wovon unſer Siegwart der juͤng-
ſte war; ein geſelliger Knabe, der ſich nie mehr
fuͤhlte, als wenn er andre Kinder luſtig ſah, ih-
nen Freude machen, und tauſend kleine Gefaͤllig-
keiten erweiſen konnte. Wenn der Winter ihn
ins Zimmer einſchloß, ſo war ihm nirgends wohl,
die Geſellſchaft ſeiner aͤltern Bruͤder, und zwoer
muntrer Schweſtern war ihm nicht groß genung;
er rief alle Baurenkinder, die ſein Haus vorbey-
giengen, zu ſich, und tummelte ſich mit ihnen auf
dem Saal herum. Dann ſchlich er ſich wieder

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[5/0009] Siegwart, ein edelgeſinnter Juͤngling, war auf einem Oettingiſchen Dorf in Schwaben, an der Donau gebohren. Sein Vater, ein Mann von aͤcht deutſch-ſchwaͤ- biſchem Charakter, war ſeit vier und zwanzig Jah- ren Amtmann auf dem Dorfe. Von ſeiner, ihm zu fruͤh verſtorbnen Frau hatte er zwo Toͤchter, und drey Soͤhne, wovon unſer Siegwart der juͤng- ſte war; ein geſelliger Knabe, der ſich nie mehr fuͤhlte, als wenn er andre Kinder luſtig ſah, ih- nen Freude machen, und tauſend kleine Gefaͤllig- keiten erweiſen konnte. Wenn der Winter ihn ins Zimmer einſchloß, ſo war ihm nirgends wohl, die Geſellſchaft ſeiner aͤltern Bruͤder, und zwoer muntrer Schweſtern war ihm nicht groß genung; er rief alle Baurenkinder, die ſein Haus vorbey- giengen, zu ſich, und tummelte ſich mit ihnen auf dem Saal herum. Dann ſchlich er ſich wieder

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/9>, abgerufen am 21.11.2024.