Jch habe deinen Freund gesehn im Traume, den bescheidnen Kronhelm. Blaß war seine Wange, gleich der meinigen, und trüb sein Auge. Er klagte, daß ein Mädchen untreu sey, daß er so heiß und treu geliebt hat; daß sie sich durch Menschen len- ken lasse, von ihm ab; daß sie wanke von der Lie- be, die ihm stark schien, wie der Tod. -- Jst das möglich, mein Erwählter, daß man weiche von der Liebe? Könnt ich weichen von dir, du mein Bräutigam? -- Alle Mädchen, sagt' er, wären schwach und unbeständig; wären allzubieg- sam; liessen sich von jedem Winde lenken. Jst das wahr, mein Lieber? Sind die Mädchen so? Bin ich nur allein treu bis ans Ende? -- O so will ich meine Schwestern hassen, wenn sie falsch sind; wenn sie den betriegen können, der ihr Herz liebt. -- Als er klagte, stand ein Mädchen in der Ferne, hatte Züge fast wie du, aber traurig wars, wie ich. Und dieß Mädchen, das so gut schien, dir so ähn- lich war, mein Theurer, könnte falsch seyn? -- Sag ihr, daß ich treu sey, ohne Hofnung!
Am 26ſten September.
Jch habe deinen Freund geſehn im Traume, den beſcheidnen Kronhelm. Blaß war ſeine Wange, gleich der meinigen, und truͤb ſein Auge. Er klagte, daß ein Maͤdchen untreu ſey, daß er ſo heiß und treu geliebt hat; daß ſie ſich durch Menſchen len- ken laſſe, von ihm ab; daß ſie wanke von der Lie- be, die ihm ſtark ſchien, wie der Tod. — Jſt das moͤglich, mein Erwaͤhlter, daß man weiche von der Liebe? Koͤnnt ich weichen von dir, du mein Braͤutigam? — Alle Maͤdchen, ſagt’ er, waͤren ſchwach und unbeſtaͤndig; waͤren allzubieg- ſam; lieſſen ſich von jedem Winde lenken. Jſt das wahr, mein Lieber? Sind die Maͤdchen ſo? Bin ich nur allein treu bis ans Ende? — O ſo will ich meine Schweſtern haſſen, wenn ſie falſch ſind; wenn ſie den betriegen koͤnnen, der ihr Herz liebt. — Als er klagte, ſtand ein Maͤdchen in der Ferne, hatte Zuͤge faſt wie du, aber traurig wars, wie ich. Und dieß Maͤdchen, das ſo gut ſchien, dir ſo aͤhn- lich war, mein Theurer, koͤnnte falſch ſeyn? — Sag ihr, daß ich treu ſey, ohne Hofnung!
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Am 26ſten September.
Jch habe deinen Freund geſehn im Traume, den
beſcheidnen Kronhelm. Blaß war ſeine Wange,
gleich der meinigen, und truͤb ſein Auge. Er klagte,
daß ein Maͤdchen untreu ſey, daß er ſo heiß und
treu geliebt hat; daß ſie ſich durch Menſchen len-
ken laſſe, von ihm ab; daß ſie wanke von der Lie-
be, die ihm ſtark ſchien, wie der Tod. — Jſt
das moͤglich, mein Erwaͤhlter, daß man weiche
von der Liebe? Koͤnnt ich weichen von dir, du
mein Braͤutigam? — Alle Maͤdchen, ſagt’ er,
waͤren ſchwach und unbeſtaͤndig; waͤren allzubieg-
ſam; lieſſen ſich von jedem Winde lenken. Jſt das
wahr, mein Lieber? Sind die Maͤdchen ſo? Bin
ich nur allein treu bis ans Ende? — O ſo will
ich meine Schweſtern haſſen, wenn ſie falſch ſind;
wenn ſie den betriegen koͤnnen, der ihr Herz liebt. —
Als er klagte, ſtand ein Maͤdchen in der Ferne,
hatte Zuͤge faſt wie du, aber traurig wars, wie ich.
Und dieß Maͤdchen, das ſo gut ſchien, dir ſo aͤhn-
lich war, mein Theurer, koͤnnte falſch ſeyn? —
Sag ihr, daß ich treu ſey, ohne Hofnung!
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/106>, abgerufen am 25.11.2024.
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