Jetzt sind wir ganz einsam, und alles ist so stille, nun Sie nicht mehr hier sind!
Am Tage nach Jhrer Abreise schrieb ich ein paar Lieder aus Kleist ab; hernach hab ich im Hagedorn gelesen, den Sie mir geschenkt haben. Jch fand vieles drinn, was mir gefiel; aber für mein Herz, das jetzt so viel verlangt, hats zu we- nig Nahrung. Sonst hab ich nichts gelesen. Theils hatt' ich nicht Zeit dazu, theils nicht Lust; und dann haben Sie mich so ganz verwöhnt, daß ich fast nichts mehr allein lesen mag.
Einmal hab ich Besuch gegeben bey meiner Freundin, der Postverwalterstochter; und den Abend gieng ich am kleinen Bach spatzieren, mit meinem Vater, der so ganz für Sie ist. Wir sprachen recht viel von Jhnen. Vorgestern war Hauptmann Northern, aber nur allein, hier. Wir kamen oft auf Sie zu sprechen; er hält sehr viel auf Sie, und ich bin ihm deswegen noch ein- mal so gut. Wenn er nur oft käme, und von Jh- nen spräche! Mir ist so wohl dabey, und so bang. Jch wünschte immer, daß man davon anfienge; und fängt man an, so wünscht ich wieder, daß ich weit davon wäre! Aber nachher freu ich mich doch immer recht drüber.
Jetzt ſind wir ganz einſam, und alles iſt ſo ſtille, nun Sie nicht mehr hier ſind!
Am Tage nach Jhrer Abreiſe ſchrieb ich ein paar Lieder aus Kleiſt ab; hernach hab ich im Hagedorn geleſen, den Sie mir geſchenkt haben. Jch fand vieles drinn, was mir gefiel; aber fuͤr mein Herz, das jetzt ſo viel verlangt, hats zu we- nig Nahrung. Sonſt hab ich nichts geleſen. Theils hatt’ ich nicht Zeit dazu, theils nicht Luſt; und dann haben Sie mich ſo ganz verwoͤhnt, daß ich faſt nichts mehr allein leſen mag.
Einmal hab ich Beſuch gegeben bey meiner Freundin, der Poſtverwalterstochter; und den Abend gieng ich am kleinen Bach ſpatzieren, mit meinem Vater, der ſo ganz fuͤr Sie iſt. Wir ſprachen recht viel von Jhnen. Vorgeſtern war Hauptmann Northern, aber nur allein, hier. Wir kamen oft auf Sie zu ſprechen; er haͤlt ſehr viel auf Sie, und ich bin ihm deswegen noch ein- mal ſo gut. Wenn er nur oft kaͤme, und von Jh- nen ſpraͤche! Mir iſt ſo wohl dabey, und ſo bang. Jch wuͤnſchte immer, daß man davon anfienge; und faͤngt man an, ſo wuͤnſcht ich wieder, daß ich weit davon waͤre! Aber nachher freu ich mich doch immer recht druͤber.
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[442/0022]
Jetzt ſind wir ganz einſam, und alles iſt ſo ſtille,
nun Sie nicht mehr hier ſind!
Am Tage nach Jhrer Abreiſe ſchrieb ich ein
paar Lieder aus Kleiſt ab; hernach hab ich im
Hagedorn geleſen, den Sie mir geſchenkt haben.
Jch fand vieles drinn, was mir gefiel; aber fuͤr
mein Herz, das jetzt ſo viel verlangt, hats zu we-
nig Nahrung. Sonſt hab ich nichts geleſen.
Theils hatt’ ich nicht Zeit dazu, theils nicht Luſt;
und dann haben Sie mich ſo ganz verwoͤhnt, daß
ich faſt nichts mehr allein leſen mag.
Einmal hab ich Beſuch gegeben bey meiner
Freundin, der Poſtverwalterstochter; und den
Abend gieng ich am kleinen Bach ſpatzieren, mit
meinem Vater, der ſo ganz fuͤr Sie iſt. Wir
ſprachen recht viel von Jhnen. Vorgeſtern war
Hauptmann Northern, aber nur allein, hier.
Wir kamen oft auf Sie zu ſprechen; er haͤlt ſehr
viel auf Sie, und ich bin ihm deswegen noch ein-
mal ſo gut. Wenn er nur oft kaͤme, und von Jh-
nen ſpraͤche! Mir iſt ſo wohl dabey, und ſo bang.
Jch wuͤnſchte immer, daß man davon anfienge;
und faͤngt man an, ſo wuͤnſcht ich wieder, daß ich
weit davon waͤre! Aber nachher freu ich mich doch
immer recht druͤber.
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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