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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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zimmer für mein Herz, sagte sie, hier kann ich
keine solche Freundin finden. Meine Vertrauteste
ist jetzt aufs Land verheirathet, und da leb ich so
in der Einsamkeit; und das ist mir manchesmal
sehr traurig. Wenn ich nicht noch meine Mutter
hätte, so wär ich hier sehr ungern, aber sie ersetzt
mir alle Bedürfnisse.

Nachdem die Frauenzimmer mit Kaffee und
fremdem Wein bedient waren, wurde noch einmal
deutsch getanzt. Endlich sagte Mariane, nun muß
ich doch wol nach Haus, mein Bruder macht
sonst morgen grossen Lärm. Es schien unserm Sieg-
wart noch viel zu früh zu seyn, aber er wagte es
doch nicht, sie länger aufzuhalten. -- Wie doch
die Zeit so schnell verfliegt! sagte er. Mir ists,
als ob wir erst eine Stunde da wären. -- Mir
ists auch so, sagte sie, und drückte ihm sanft die
Hand. Jch bin noch nie so vergnügt gewesen, wie
heute. -- Möcht' ich doch auch etwas dazu bey-
getragen haben! sagte er schmachtend. -- Vieles,
vieles! sagte sie mit tiefem Ausdruck. Er ward
wie von einer unsichtbaren Gewalt hingerissen, und
küßte sie auf den Mund. Sie hielt willig still. Jn
dem Augenblick fühlte er sich über alles erhaben.
Welt und alles schwand vor seinen Blicken. Der



zimmer fuͤr mein Herz, ſagte ſie, hier kann ich
keine ſolche Freundin finden. Meine Vertrauteſte
iſt jetzt aufs Land verheirathet, und da leb ich ſo
in der Einſamkeit; und das iſt mir manchesmal
ſehr traurig. Wenn ich nicht noch meine Mutter
haͤtte, ſo waͤr ich hier ſehr ungern, aber ſie erſetzt
mir alle Beduͤrfniſſe.

Nachdem die Frauenzimmer mit Kaffee und
fremdem Wein bedient waren, wurde noch einmal
deutſch getanzt. Endlich ſagte Mariane, nun muß
ich doch wol nach Haus, mein Bruder macht
ſonſt morgen groſſen Laͤrm. Es ſchien unſerm Sieg-
wart noch viel zu fruͤh zu ſeyn, aber er wagte es
doch nicht, ſie laͤnger aufzuhalten. — Wie doch
die Zeit ſo ſchnell verfliegt! ſagte er. Mir iſts,
als ob wir erſt eine Stunde da waͤren. — Mir
iſts auch ſo, ſagte ſie, und druͤckte ihm ſanft die
Hand. Jch bin noch nie ſo vergnuͤgt geweſen, wie
heute. — Moͤcht’ ich doch auch etwas dazu bey-
getragen haben! ſagte er ſchmachtend. — Vieles,
vieles! ſagte ſie mit tiefem Ausdruck. Er ward
wie von einer unſichtbaren Gewalt hingeriſſen, und
kuͤßte ſie auf den Mund. Sie hielt willig ſtill. Jn
dem Augenblick fuͤhlte er ſich uͤber alles erhaben.
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[674/0254] zimmer fuͤr mein Herz, ſagte ſie, hier kann ich keine ſolche Freundin finden. Meine Vertrauteſte iſt jetzt aufs Land verheirathet, und da leb ich ſo in der Einſamkeit; und das iſt mir manchesmal ſehr traurig. Wenn ich nicht noch meine Mutter haͤtte, ſo waͤr ich hier ſehr ungern, aber ſie erſetzt mir alle Beduͤrfniſſe. Nachdem die Frauenzimmer mit Kaffee und fremdem Wein bedient waren, wurde noch einmal deutſch getanzt. Endlich ſagte Mariane, nun muß ich doch wol nach Haus, mein Bruder macht ſonſt morgen groſſen Laͤrm. Es ſchien unſerm Sieg- wart noch viel zu fruͤh zu ſeyn, aber er wagte es doch nicht, ſie laͤnger aufzuhalten. — Wie doch die Zeit ſo ſchnell verfliegt! ſagte er. Mir iſts, als ob wir erſt eine Stunde da waͤren. — Mir iſts auch ſo, ſagte ſie, und druͤckte ihm ſanft die Hand. Jch bin noch nie ſo vergnuͤgt geweſen, wie heute. — Moͤcht’ ich doch auch etwas dazu bey- getragen haben! ſagte er ſchmachtend. — Vieles, vieles! ſagte ſie mit tiefem Ausdruck. Er ward wie von einer unſichtbaren Gewalt hingeriſſen, und kuͤßte ſie auf den Mund. Sie hielt willig ſtill. Jn dem Augenblick fuͤhlte er ſich uͤber alles erhaben. Welt und alles ſchwand vor ſeinen Blicken. Der

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/254>, abgerufen am 22.11.2024.