würde viele Leute besser machen, als sie bey ihrer angenommenen, oder erzwungenen Kälte sind. Wer nicht lieben will, und verächtlich von der Lie- be denkt, der schämt sich auch ein Mensch zu seyn; und wer sie schlechterdings verdammt, der begeht einen Hochverrath gegen die Menschheit, denn er will die Quelle der Empfindung und so vieler Tu- genden ableiten, oder austrocknen, und dafür eine dürre Sandwüste anlegen! --
Um 11 Uhr kamen sie wieder zu Haus an, und spielten miteinander auf der Violine. Den Nach- mittag ritten sie mit Dahlmund spatzieren, der auch sehr vergnügt war, weil er seine Brünette ziemlich kirr gemacht hatte. Er erzählte ihnen: Gutsrieds Va- ter sey gestorben. Als er nach Haus gekommen war, kündigte er seiner Beyschläferin sogleich an, sie kön- ne sich innerhalb zwey Tagen aus dem Hause packen. Das Mensch gab ihm spitzige Reden, begegnete ihm grob, und machte grosse Forderungen an ihn. Er erzürnte sich darüber, und legte sich den Abend drauf krank zu Bette. Er bekam eine hitzige Krank- heit, deren Samen er vermuthlich von seinem Sohn eingesogen hatte, als er ihm den letzten Hauch von den Lippen küste. Vier Tage drauf starb er, nachdem ihm die Metze drey Tage vor-
wuͤrde viele Leute beſſer machen, als ſie bey ihrer angenommenen, oder erzwungenen Kaͤlte ſind. Wer nicht lieben will, und veraͤchtlich von der Lie- be denkt, der ſchaͤmt ſich auch ein Menſch zu ſeyn; und wer ſie ſchlechterdings verdammt, der begeht einen Hochverrath gegen die Menſchheit, denn er will die Quelle der Empfindung und ſo vieler Tu- genden ableiten, oder austrocknen, und dafuͤr eine duͤrre Sandwuͤſte anlegen! —
Um 11 Uhr kamen ſie wieder zu Haus an, und ſpielten miteinander auf der Violine. Den Nach- mittag ritten ſie mit Dahlmund ſpatzieren, der auch ſehr vergnuͤgt war, weil er ſeine Bruͤnette ziemlich kirr gemacht hatte. Er erzaͤhlte ihnen: Gutſrieds Va- ter ſey geſtorben. Als er nach Haus gekommen war, kuͤndigte er ſeiner Beyſchlaͤferin ſogleich an, ſie koͤn- ne ſich innerhalb zwey Tagen aus dem Hauſe packen. Das Menſch gab ihm ſpitzige Reden, begegnete ihm grob, und machte groſſe Forderungen an ihn. Er erzuͤrnte ſich daruͤber, und legte ſich den Abend drauf krank zu Bette. Er bekam eine hitzige Krank- heit, deren Samen er vermuthlich von ſeinem Sohn eingeſogen hatte, als er ihm den letzten Hauch von den Lippen kuͤſte. Vier Tage drauf ſtarb er, nachdem ihm die Metze drey Tage vor-
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wuͤrde viele Leute beſſer machen, als ſie bey ihrer
angenommenen, oder erzwungenen Kaͤlte ſind.
Wer nicht lieben will, und veraͤchtlich von der Lie-
be denkt, der ſchaͤmt ſich auch ein Menſch zu ſeyn;
und wer ſie ſchlechterdings verdammt, der begeht
einen Hochverrath gegen die Menſchheit, denn er
will die Quelle der Empfindung und ſo vieler Tu-
genden ableiten, oder austrocknen, und dafuͤr eine
duͤrre Sandwuͤſte anlegen! —
Um 11 Uhr kamen ſie wieder zu Haus an, und
ſpielten miteinander auf der Violine. Den Nach-
mittag ritten ſie mit Dahlmund ſpatzieren, der auch
ſehr vergnuͤgt war, weil er ſeine Bruͤnette ziemlich
kirr gemacht hatte. Er erzaͤhlte ihnen: Gutſrieds Va-
ter ſey geſtorben. Als er nach Haus gekommen war,
kuͤndigte er ſeiner Beyſchlaͤferin ſogleich an, ſie koͤn-
ne ſich innerhalb zwey Tagen aus dem Hauſe packen.
Das Menſch gab ihm ſpitzige Reden, begegnete
ihm grob, und machte groſſe Forderungen an ihn.
Er erzuͤrnte ſich daruͤber, und legte ſich den Abend
drauf krank zu Bette. Er bekam eine hitzige Krank-
heit, deren Samen er vermuthlich von ſeinem
Sohn eingeſogen hatte, als er ihm den letzten
Hauch von den Lippen kuͤſte. Vier Tage drauf
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/262>, abgerufen am 22.11.2024.
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