verlieren sollte. Sie saß traurig neben ihm, als sie Kaffee tranken, und konnte die Thränen nicht zurückhalten. Er umschlang sie mit seinem Arm, lehnte sein Gesicht an ihre Brust, und konnte vor Bewegung und Zärtlichkeit nicht sprechen. Er fühlte das Schlagen ihres Herzens, blickte zuwei- len zu ihr hinauf; schmachtend sah ihr Aug auf ihn herab, und eine Thräne fiel auf seine Stirne, die sie wieder weg küßte. Kronhelm sah das edle, zärt- liche Paar, und weinte vor Freuden. -- Möcht ich Sie einmal beysammen sehen! sagte er; Sie und meine Therese! Sie wären gleich im Augenblick Ein Herz und Eine Seele.
Nun werd ich wol bald nach Hause gehen müssen, sagte endlich Mariane; es ist über zwey Uhr. Siegwart wollte das nicht glauben, bis ers selbst auf seiner Uhr sah. Noch ein paar Schlei- fer müssen wir doch machen! sagte er, und fing an, mit ihr zu tanzen. Mariane blieb noch über drey Viertel Stunden. Endlich sagte sie: Jch muß, ich muß gehn, wenn ich gleich nicht will! Siegwart stund mit ihr noch eine halbe Stunde unter ihrem Haus, und empfing die zärtlichsten Versicherungen ihrer Liebe. Jch habe keinen noch geliebt, sagte sie, und will auch ausser Jhnen keinen lieben. Mein
verlieren ſollte. Sie ſaß traurig neben ihm, als ſie Kaffee tranken, und konnte die Thraͤnen nicht zuruͤckhalten. Er umſchlang ſie mit ſeinem Arm, lehnte ſein Geſicht an ihre Bruſt, und konnte vor Bewegung und Zaͤrtlichkeit nicht ſprechen. Er fuͤhlte das Schlagen ihres Herzens, blickte zuwei- len zu ihr hinauf; ſchmachtend ſah ihr Aug auf ihn herab, und eine Thraͤne fiel auf ſeine Stirne, die ſie wieder weg kuͤßte. Kronhelm ſah das edle, zaͤrt- liche Paar, und weinte vor Freuden. — Moͤcht ich Sie einmal beyſammen ſehen! ſagte er; Sie und meine Thereſe! Sie waͤren gleich im Augenblick Ein Herz und Eine Seele.
Nun werd ich wol bald nach Hauſe gehen muͤſſen, ſagte endlich Mariane; es iſt uͤber zwey Uhr. Siegwart wollte das nicht glauben, bis ers ſelbſt auf ſeiner Uhr ſah. Noch ein paar Schlei- fer muͤſſen wir doch machen! ſagte er, und fing an, mit ihr zu tanzen. Mariane blieb noch uͤber drey Viertel Stunden. Endlich ſagte ſie: Jch muß, ich muß gehn, wenn ich gleich nicht will! Siegwart ſtund mit ihr noch eine halbe Stunde unter ihrem Haus, und empfing die zaͤrtlichſten Verſicherungen ihrer Liebe. Jch habe keinen noch geliebt, ſagte ſie, und will auch auſſer Jhnen keinen lieben. Mein
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0279"n="699"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
verlieren ſollte. Sie ſaß traurig neben ihm, als<lb/>ſie Kaffee tranken, und konnte die Thraͤnen nicht<lb/>
zuruͤckhalten. Er umſchlang ſie mit ſeinem Arm,<lb/>
lehnte ſein Geſicht an ihre Bruſt, und konnte vor<lb/>
Bewegung und Zaͤrtlichkeit nicht ſprechen. Er<lb/>
fuͤhlte das Schlagen ihres Herzens, blickte zuwei-<lb/>
len zu ihr hinauf; ſchmachtend ſah ihr Aug auf ihn<lb/>
herab, und eine Thraͤne fiel auf ſeine Stirne, die<lb/>ſie wieder weg kuͤßte. Kronhelm ſah das edle, zaͤrt-<lb/>
liche Paar, und weinte vor Freuden. — Moͤcht<lb/>
ich Sie einmal beyſammen ſehen! ſagte er; Sie und<lb/>
meine Thereſe! Sie waͤren gleich im Augenblick<lb/>
Ein Herz und Eine Seele.</p><lb/><p>Nun werd ich wol bald nach Hauſe gehen<lb/>
muͤſſen, ſagte endlich Mariane; es iſt uͤber zwey<lb/>
Uhr. Siegwart wollte das nicht glauben, bis ers<lb/>ſelbſt auf ſeiner Uhr ſah. Noch ein paar Schlei-<lb/>
fer muͤſſen wir doch machen! ſagte er, und fing an,<lb/>
mit ihr zu tanzen. Mariane blieb noch uͤber drey<lb/>
Viertel Stunden. Endlich ſagte ſie: Jch muß,<lb/>
ich muß gehn, wenn ich gleich nicht will! Siegwart<lb/>ſtund mit ihr noch eine halbe Stunde unter ihrem<lb/>
Haus, und empfing die zaͤrtlichſten Verſicherungen<lb/>
ihrer Liebe. Jch habe keinen noch geliebt, ſagte ſie,<lb/>
und will auch auſſer Jhnen keinen lieben. Mein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[699/0279]
verlieren ſollte. Sie ſaß traurig neben ihm, als
ſie Kaffee tranken, und konnte die Thraͤnen nicht
zuruͤckhalten. Er umſchlang ſie mit ſeinem Arm,
lehnte ſein Geſicht an ihre Bruſt, und konnte vor
Bewegung und Zaͤrtlichkeit nicht ſprechen. Er
fuͤhlte das Schlagen ihres Herzens, blickte zuwei-
len zu ihr hinauf; ſchmachtend ſah ihr Aug auf ihn
herab, und eine Thraͤne fiel auf ſeine Stirne, die
ſie wieder weg kuͤßte. Kronhelm ſah das edle, zaͤrt-
liche Paar, und weinte vor Freuden. — Moͤcht
ich Sie einmal beyſammen ſehen! ſagte er; Sie und
meine Thereſe! Sie waͤren gleich im Augenblick
Ein Herz und Eine Seele.
Nun werd ich wol bald nach Hauſe gehen
muͤſſen, ſagte endlich Mariane; es iſt uͤber zwey
Uhr. Siegwart wollte das nicht glauben, bis ers
ſelbſt auf ſeiner Uhr ſah. Noch ein paar Schlei-
fer muͤſſen wir doch machen! ſagte er, und fing an,
mit ihr zu tanzen. Mariane blieb noch uͤber drey
Viertel Stunden. Endlich ſagte ſie: Jch muß,
ich muß gehn, wenn ich gleich nicht will! Siegwart
ſtund mit ihr noch eine halbe Stunde unter ihrem
Haus, und empfing die zaͤrtlichſten Verſicherungen
ihrer Liebe. Jch habe keinen noch geliebt, ſagte ſie,
und will auch auſſer Jhnen keinen lieben. Mein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/279>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.