Und Du, Mariane, eile, Segen lächelnd, an mein Herz, Und umarme mich, und heile Der verlaßnen Freundschaft Schmerz!
Den andern Tag gieng Siegwart traurig und niedergeschlagen umher. Der Schmerz um seinen verlohrnen Freuud begleitete ihn aller Orten hin. Seine Mariane konnte er nur sehen, aber nicht sprechen. Abends fieng er einen sehr wehmüthigen Brief an Kronhelm an. Den Tag drauf erhielt er folgenden Brief von Theresen.
Allerliebster Bruder!
Jch eile, dir die angenehmste Nachricht zu schreiben. Vor drey Tagen ließ sich ein fremder Herr bey unserm theuren Vater melden. Wir machten uns so schnell als möglich auf seine An- kunft gefaßt. Er war sehr höflich, und bat sich, auf eine angenehme Art, selbst zu Gast. Er hatte aber seine eigne Küche und drey Bediente bey sich, die ihn Herr geheimer Rath nannten. Jch war in der Küche, und machte einige Zurüstungen. Er frug aber nach mir, und sagte, daß ich nothwen- dig mit bey Tische seyn müsse. Du kannst dir nicht vorstellen, wie leutselig und herablassend der Herr
Und Du, Mariane, eile, Segen laͤchelnd, an mein Herz, Und umarme mich, und heile Der verlaßnen Freundſchaft Schmerz!
Den andern Tag gieng Siegwart traurig und niedergeſchlagen umher. Der Schmerz um ſeinen verlohrnen Freuud begleitete ihn aller Orten hin. Seine Mariane konnte er nur ſehen, aber nicht ſprechen. Abends fieng er einen ſehr wehmuͤthigen Brief an Kronhelm an. Den Tag drauf erhielt er folgenden Brief von Thereſen.
Allerliebſter Bruder!
Jch eile, dir die angenehmſte Nachricht zu ſchreiben. Vor drey Tagen ließ ſich ein fremder Herr bey unſerm theuren Vater melden. Wir machten uns ſo ſchnell als moͤglich auf ſeine An- kunft gefaßt. Er war ſehr hoͤflich, und bat ſich, auf eine angenehme Art, ſelbſt zu Gaſt. Er hatte aber ſeine eigne Kuͤche und drey Bediente bey ſich, die ihn Herr geheimer Rath nannten. Jch war in der Kuͤche, und machte einige Zuruͤſtungen. Er frug aber nach mir, und ſagte, daß ich nothwen- dig mit bey Tiſche ſeyn muͤſſe. Du kannſt dir nicht vorſtellen, wie leutſelig und herablaſſend der Herr
<TEI><text><body><divn="1"><p><lgtype="poem"><pbfacs="#f0336"n="756"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgn="4"><l>Und Du, Mariane, eile,</l><lb/><l>Segen laͤchelnd, an mein Herz,</l><lb/><l>Und umarme mich, und heile</l><lb/><l>Der verlaßnen Freundſchaft Schmerz!</l></lg></lg></p><lb/><p>Den andern Tag gieng Siegwart traurig und<lb/>
niedergeſchlagen umher. Der Schmerz um ſeinen<lb/>
verlohrnen Freuud begleitete ihn aller Orten hin.<lb/>
Seine Mariane konnte er nur ſehen, aber nicht<lb/>ſprechen. Abends fieng er einen ſehr wehmuͤthigen<lb/>
Brief an Kronhelm an. Den Tag drauf erhielt<lb/>
er folgenden Brief von Thereſen.<lb/><floatingText><body><divtype="letter"><opener><salute><hirendition="#et">Allerliebſter Bruder!</hi></salute></opener><lb/><p>Jch eile, dir die angenehmſte Nachricht zu<lb/>ſchreiben. Vor drey Tagen ließ ſich ein fremder<lb/>
Herr bey unſerm theuren Vater melden. Wir<lb/>
machten uns ſo ſchnell als moͤglich auf ſeine An-<lb/>
kunft gefaßt. Er war ſehr hoͤflich, und bat ſich, auf<lb/>
eine angenehme Art, ſelbſt zu Gaſt. Er hatte<lb/>
aber ſeine eigne Kuͤche und drey Bediente bey ſich,<lb/>
die ihn Herr geheimer Rath nannten. Jch war<lb/>
in der Kuͤche, und machte einige Zuruͤſtungen. Er<lb/>
frug aber nach mir, und ſagte, daß ich nothwen-<lb/>
dig mit bey Tiſche ſeyn muͤſſe. Du kannſt dir nicht<lb/>
vorſtellen, wie leutſelig und herablaſſend der Herr<lb/></p></div></body></floatingText></p></div></body></text></TEI>
[756/0336]
Und Du, Mariane, eile,
Segen laͤchelnd, an mein Herz,
Und umarme mich, und heile
Der verlaßnen Freundſchaft Schmerz!
Den andern Tag gieng Siegwart traurig und
niedergeſchlagen umher. Der Schmerz um ſeinen
verlohrnen Freuud begleitete ihn aller Orten hin.
Seine Mariane konnte er nur ſehen, aber nicht
ſprechen. Abends fieng er einen ſehr wehmuͤthigen
Brief an Kronhelm an. Den Tag drauf erhielt
er folgenden Brief von Thereſen.
Allerliebſter Bruder!
Jch eile, dir die angenehmſte Nachricht zu
ſchreiben. Vor drey Tagen ließ ſich ein fremder
Herr bey unſerm theuren Vater melden. Wir
machten uns ſo ſchnell als moͤglich auf ſeine An-
kunft gefaßt. Er war ſehr hoͤflich, und bat ſich, auf
eine angenehme Art, ſelbſt zu Gaſt. Er hatte
aber ſeine eigne Kuͤche und drey Bediente bey ſich,
die ihn Herr geheimer Rath nannten. Jch war
in der Kuͤche, und machte einige Zuruͤſtungen. Er
frug aber nach mir, und ſagte, daß ich nothwen-
dig mit bey Tiſche ſeyn muͤſſe. Du kannſt dir nicht
vorſtellen, wie leutſelig und herablaſſend der Herr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 756. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/336>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.