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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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war, und trug doch einen Stern auf der Brust.
Aber ob er gleich so vornehm aussah, so must ich
ihn doch lieb haben, denn er hatte nicht den ge-
ringsten Stolz an sich. Mit mir gab er sich viel
ab, und fragte mich allerley aus. Sie sind ja so
blaß, liebes Jungferchen, sagte er; in Jhrem Au-
ge sitzt so etwas; ists vielleicht unglückliche Liebe?
Jch ward feuerroth, und konnt ihn lange nicht
mehr ansehn. Er lobte mich auch gegen unsern l.
Vater so, daß ich gern weit weg gewesen wäre,
ob mirs gleich im Herzen wohl that, von einem so
braven Mann gelobt zu werden. Mit dem l. Va-
ter gieng er auf einen recht vertraulichen Fuß um,
daß dieser ganz vergnügt und offenherzig wurde.
Einmal, als die Bedienten weg waren, wendete er
sich schnell zu mir, und sagte: Kennen Sie nicht
einen jungen Kronhelm? dabey sah er mich so steif
ins Auge, als ob er mir durchsehen wollte. Gott
weis, wie mir da auf Einmal wurde? Mein Ge-
sicht brannte. Jch weis nicht, was ich zur Ant-
wort gab? Jch glaub, ich sagte: Ja, ich kenn ihn.
Er ist mein Neffe, sagte er; ich heiß auch Kron-
helm. Unser Vater stand auf, weil der Herr sehr
viel in München gilt, und wollte sich wegen sei-
ner Vertraulichkeit entschuldigen. Er muste aber



war, und trug doch einen Stern auf der Bruſt.
Aber ob er gleich ſo vornehm ausſah, ſo muſt ich
ihn doch lieb haben, denn er hatte nicht den ge-
ringſten Stolz an ſich. Mit mir gab er ſich viel
ab, und fragte mich allerley aus. Sie ſind ja ſo
blaß, liebes Jungferchen, ſagte er; in Jhrem Au-
ge ſitzt ſo etwas; iſts vielleicht ungluͤckliche Liebe?
Jch ward feuerroth, und konnt ihn lange nicht
mehr anſehn. Er lobte mich auch gegen unſern l.
Vater ſo, daß ich gern weit weg geweſen waͤre,
ob mirs gleich im Herzen wohl that, von einem ſo
braven Mann gelobt zu werden. Mit dem l. Va-
ter gieng er auf einen recht vertraulichen Fuß um,
daß dieſer ganz vergnuͤgt und offenherzig wurde.
Einmal, als die Bedienten weg waren, wendete er
ſich ſchnell zu mir, und ſagte: Kennen Sie nicht
einen jungen Kronhelm? dabey ſah er mich ſo ſteif
ins Auge, als ob er mir durchſehen wollte. Gott
weis, wie mir da auf Einmal wurde? Mein Ge-
ſicht brannte. Jch weis nicht, was ich zur Ant-
wort gab? Jch glaub, ich ſagte: Ja, ich kenn ihn.
Er iſt mein Neffe, ſagte er; ich heiß auch Kron-
helm. Unſer Vater ſtand auf, weil der Herr ſehr
viel in Muͤnchen gilt, und wollte ſich wegen ſei-
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[757/0337] war, und trug doch einen Stern auf der Bruſt. Aber ob er gleich ſo vornehm ausſah, ſo muſt ich ihn doch lieb haben, denn er hatte nicht den ge- ringſten Stolz an ſich. Mit mir gab er ſich viel ab, und fragte mich allerley aus. Sie ſind ja ſo blaß, liebes Jungferchen, ſagte er; in Jhrem Au- ge ſitzt ſo etwas; iſts vielleicht ungluͤckliche Liebe? Jch ward feuerroth, und konnt ihn lange nicht mehr anſehn. Er lobte mich auch gegen unſern l. Vater ſo, daß ich gern weit weg geweſen waͤre, ob mirs gleich im Herzen wohl that, von einem ſo braven Mann gelobt zu werden. Mit dem l. Va- ter gieng er auf einen recht vertraulichen Fuß um, daß dieſer ganz vergnuͤgt und offenherzig wurde. Einmal, als die Bedienten weg waren, wendete er ſich ſchnell zu mir, und ſagte: Kennen Sie nicht einen jungen Kronhelm? dabey ſah er mich ſo ſteif ins Auge, als ob er mir durchſehen wollte. Gott weis, wie mir da auf Einmal wurde? Mein Ge- ſicht brannte. Jch weis nicht, was ich zur Ant- wort gab? Jch glaub, ich ſagte: Ja, ich kenn ihn. Er iſt mein Neffe, ſagte er; ich heiß auch Kron- helm. Unſer Vater ſtand auf, weil der Herr ſehr viel in Muͤnchen gilt, und wollte ſich wegen ſei- ner Vertraulichkeit entſchuldigen. Er muſte aber

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/337>, abgerufen am 22.11.2024.