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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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nachdem er eine halbe Stunde vergeblich ausgeblickt
hatte, seinen Engel endlich am Fenster. Es war
ihm, als ob sie etwas traurig wäre; dieses beunru-
higte ihn sehr, und er sehnte sich nach dem Abend,
da er sie im Konzert sehen, und vielleicht auch spre-
chen würde; denn, seit Kronhelm weg war, wagte
er es nicht, so oft hinüber zu gehen. Er hatte
auch gehofft, vielleicht einen Brief von seinem Freund
anzutreffen, aber vergeblich.

Des Abends im Konzert vermehrte sich seine Un-
ruhe noch mehr, als er seine Mariane sehr nieder-
geschlagen fand. Erst am Ende des Konzerts be-
kam er Gelegenheit, sie auf einige Augenblicke allein
zu sprechen. Mit etlichen Worten erzählte er ihr die
Ursache seiner Reise, und von Kronhelms Unglück.
Sie seufzte, und sagte: Jch hätt' Jhnen auch viel
Unangenehmes zu sagen. Gehen Sie vielleicht
morgen Nachmittags bey meinem Garten vorbey?
Es wär möglich, daß ich da wäre. Eh sie weiter
reden konnte, kam ein goldgestickter Herr dazu, der
sich mit abgeschmackter Höflichkeit nach ihrem Be-
finden erkundigte.

Siegwart schlich sich auf die Seite, denn er
ward vom Schmerz zu heftig überwältigt, und lief
fort, eh noch das Konzert geendigt war. Sein



nachdem er eine halbe Stunde vergeblich ausgeblickt
hatte, ſeinen Engel endlich am Fenſter. Es war
ihm, als ob ſie etwas traurig waͤre; dieſes beunru-
higte ihn ſehr, und er ſehnte ſich nach dem Abend,
da er ſie im Konzert ſehen, und vielleicht auch ſpre-
chen wuͤrde; denn, ſeit Kronhelm weg war, wagte
er es nicht, ſo oft hinuͤber zu gehen. Er hatte
auch gehofft, vielleicht einen Brief von ſeinem Freund
anzutreffen, aber vergeblich.

Des Abends im Konzert vermehrte ſich ſeine Un-
ruhe noch mehr, als er ſeine Mariane ſehr nieder-
geſchlagen fand. Erſt am Ende des Konzerts be-
kam er Gelegenheit, ſie auf einige Augenblicke allein
zu ſprechen. Mit etlichen Worten erzaͤhlte er ihr die
Urſache ſeiner Reiſe, und von Kronhelms Ungluͤck.
Sie ſeufzte, und ſagte: Jch haͤtt’ Jhnen auch viel
Unangenehmes zu ſagen. Gehen Sie vielleicht
morgen Nachmittags bey meinem Garten vorbey?
Es waͤr moͤglich, daß ich da waͤre. Eh ſie weiter
reden konnte, kam ein goldgeſtickter Herr dazu, der
ſich mit abgeſchmackter Hoͤflichkeit nach ihrem Be-
finden erkundigte.

Siegwart ſchlich ſich auf die Seite, denn er
ward vom Schmerz zu heftig uͤberwaͤltigt, und lief
fort, eh noch das Konzert geendigt war. Sein

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[782/0362] nachdem er eine halbe Stunde vergeblich ausgeblickt hatte, ſeinen Engel endlich am Fenſter. Es war ihm, als ob ſie etwas traurig waͤre; dieſes beunru- higte ihn ſehr, und er ſehnte ſich nach dem Abend, da er ſie im Konzert ſehen, und vielleicht auch ſpre- chen wuͤrde; denn, ſeit Kronhelm weg war, wagte er es nicht, ſo oft hinuͤber zu gehen. Er hatte auch gehofft, vielleicht einen Brief von ſeinem Freund anzutreffen, aber vergeblich. Des Abends im Konzert vermehrte ſich ſeine Un- ruhe noch mehr, als er ſeine Mariane ſehr nieder- geſchlagen fand. Erſt am Ende des Konzerts be- kam er Gelegenheit, ſie auf einige Augenblicke allein zu ſprechen. Mit etlichen Worten erzaͤhlte er ihr die Urſache ſeiner Reiſe, und von Kronhelms Ungluͤck. Sie ſeufzte, und ſagte: Jch haͤtt’ Jhnen auch viel Unangenehmes zu ſagen. Gehen Sie vielleicht morgen Nachmittags bey meinem Garten vorbey? Es waͤr moͤglich, daß ich da waͤre. Eh ſie weiter reden konnte, kam ein goldgeſtickter Herr dazu, der ſich mit abgeſchmackter Hoͤflichkeit nach ihrem Be- finden erkundigte. Siegwart ſchlich ſich auf die Seite, denn er ward vom Schmerz zu heftig uͤberwaͤltigt, und lief fort, eh noch das Konzert geendigt war. Sein

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 782. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/362>, abgerufen am 22.11.2024.