man eben den vierzigen näher ist, als den dreyßi- gen, so ist man bey dem jungen Volk nicht mehr so beliebt. -- Sie wollen ja ein Geistlicher wer- den, Herr Siegwart, wie ich höre? Jhre Zeit ist wol bald herum! Mich deucht, Sie sind schon lang hier? Siegwart sagte, daß er erst übers Jahr hier sey, und noch nicht fest entschlossen sey, was er studieren wolle! Es komm auf seinen Vater an. Ey, Sie werden ja der Kirche nicht untreu wer- den, sagte sie, werden Sie ja ein Geistlicher, das ist der beste Stand auf Erden. Hoffentlich wird Sie nichts irdisches davon zurückhalten. Mit die- sen Worten sah sie Marianen spöttisch an, und machte noch zwanzig andre Anspielungen, die nur zu deutlich zeigten, daß sie von der Liebe unsrer jungen Leute manches wisse. Siegwart und Ma- riane kamen oft in die gröste Verlegenheit, und wußten nicht, was sie sagen sollten. Jhr älterer Bruder mußte seiner Frau immer Recht geben, weil sie ihn beständig ansah, wenn sie etwas vor- brachte. Sie affektirte eine lächerliche Liebe gegen ihn, und wich nicht von seiner Seite. Oft wur- den ihre Anspielungen so deutlich, daß Siegwart ein paarmal roth wurde.
man eben den vierzigen naͤher iſt, als den dreyßi- gen, ſo iſt man bey dem jungen Volk nicht mehr ſo beliebt. — Sie wollen ja ein Geiſtlicher wer- den, Herr Siegwart, wie ich hoͤre? Jhre Zeit iſt wol bald herum! Mich deucht, Sie ſind ſchon lang hier? Siegwart ſagte, daß er erſt uͤbers Jahr hier ſey, und noch nicht feſt entſchloſſen ſey, was er ſtudieren wolle! Es komm auf ſeinen Vater an. Ey, Sie werden ja der Kirche nicht untreu wer- den, ſagte ſie, werden Sie ja ein Geiſtlicher, das iſt der beſte Stand auf Erden. Hoffentlich wird Sie nichts irdiſches davon zuruͤckhalten. Mit die- ſen Worten ſah ſie Marianen ſpoͤttiſch an, und machte noch zwanzig andre Anſpielungen, die nur zu deutlich zeigten, daß ſie von der Liebe unſrer jungen Leute manches wiſſe. Siegwart und Ma- riane kamen oft in die groͤſte Verlegenheit, und wußten nicht, was ſie ſagen ſollten. Jhr aͤlterer Bruder mußte ſeiner Frau immer Recht geben, weil ſie ihn beſtaͤndig anſah, wenn ſie etwas vor- brachte. Sie affektirte eine laͤcherliche Liebe gegen ihn, und wich nicht von ſeiner Seite. Oft wur- den ihre Anſpielungen ſo deutlich, daß Siegwart ein paarmal roth wurde.
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man eben den vierzigen naͤher iſt, als den dreyßi-
gen, ſo iſt man bey dem jungen Volk nicht mehr
ſo beliebt. — Sie wollen ja ein Geiſtlicher wer-
den, Herr Siegwart, wie ich hoͤre? Jhre Zeit
iſt wol bald herum! Mich deucht, Sie ſind ſchon
lang hier? Siegwart ſagte, daß er erſt uͤbers Jahr
hier ſey, und noch nicht feſt entſchloſſen ſey, was er
ſtudieren wolle! Es komm auf ſeinen Vater an.
Ey, Sie werden ja der Kirche nicht untreu wer-
den, ſagte ſie, werden Sie ja ein Geiſtlicher, das
iſt der beſte Stand auf Erden. Hoffentlich wird
Sie nichts irdiſches davon zuruͤckhalten. Mit die-
ſen Worten ſah ſie Marianen ſpoͤttiſch an, und
machte noch zwanzig andre Anſpielungen, die nur
zu deutlich zeigten, daß ſie von der Liebe unſrer
jungen Leute manches wiſſe. Siegwart und Ma-
riane kamen oft in die groͤſte Verlegenheit, und
wußten nicht, was ſie ſagen ſollten. Jhr aͤlterer
Bruder mußte ſeiner Frau immer Recht geben,
weil ſie ihn beſtaͤndig anſah, wenn ſie etwas vor-
brachte. Sie affektirte eine laͤcherliche Liebe gegen
ihn, und wich nicht von ſeiner Seite. Oft wur-
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 826. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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