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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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mann wöhler, als den Leuten in der Stadt. Sieg-
wart versicherte, daß er nirgends lieber sey, als
auf dem Dorf. So oft ich hier schlafe, fuhr er
fort, geb ich sechs Kreuzer, und, was ich esse,
das bezahl ich besonders. Der Bauer weigerte
sich lange, den Vertrag einzugehen, weil das, wie
er sagte, viel zu viel Geld wäre. Auf den Abend,
sagte, Siegwart, komm ich; aber vielleicht etwas
spät, weil ich zu meiner Base auf das Landhaus
gehe. -- So, zu der Frau Held? fiel Thomas
ein. Ja ja, das ist eine seelengute Frau, die
den Armen hier im Dorf viel Gutes thut. Sie
kommt fleißig rüber in die Kirche, und bringt alle-
mal der Armuth etwas mit. Ey, Ey! So ist
das Jhre Bas? Nun, da nimmt michs eben nicht
Wunder, daß Sie auch so brav sind. Sagen Sies
ihr nur, daß man sie im Dorf hier recht lieb hat!

Siegwart gieng aufs Landhaus, das eine klei-
ne halbe Stunde vom Dorf lag. Die Fran Held
spielte gerad im Gartensaal auf dem Flügel. Er
schlich sich leise hinein, um sie nicht zu stören,
und setzte sich zwischen Karolinen und Marianen
aufs Kanapee. Die Tante spielte mit viel Wahr-
heit und Ausdruck; unsre Liebenden drückten sich,
bey jeder empfindungsvollen Stelle die Hände,



mann woͤhler, als den Leuten in der Stadt. Sieg-
wart verſicherte, daß er nirgends lieber ſey, als
auf dem Dorf. So oft ich hier ſchlafe, fuhr er
fort, geb ich ſechs Kreuzer, und, was ich eſſe,
das bezahl ich beſonders. Der Bauer weigerte
ſich lange, den Vertrag einzugehen, weil das, wie
er ſagte, viel zu viel Geld waͤre. Auf den Abend,
ſagte, Siegwart, komm ich; aber vielleicht etwas
ſpaͤt, weil ich zu meiner Baſe auf das Landhaus
gehe. — So, zu der Frau Held? fiel Thomas
ein. Ja ja, das iſt eine ſeelengute Frau, die
den Armen hier im Dorf viel Gutes thut. Sie
kommt fleißig ruͤber in die Kirche, und bringt alle-
mal der Armuth etwas mit. Ey, Ey! So iſt
das Jhre Bas? Nun, da nimmt michs eben nicht
Wunder, daß Sie auch ſo brav ſind. Sagen Sies
ihr nur, daß man ſie im Dorf hier recht lieb hat!

Siegwart gieng aufs Landhaus, das eine klei-
ne halbe Stunde vom Dorf lag. Die Fran Held
ſpielte gerad im Gartenſaal auf dem Fluͤgel. Er
ſchlich ſich leiſe hinein, um ſie nicht zu ſtoͤren,
und ſetzte ſich zwiſchen Karolinen und Marianen
aufs Kanapee. Die Tante ſpielte mit viel Wahr-
heit und Ausdruck; unſre Liebenden druͤckten ſich,
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[843/0423] mann woͤhler, als den Leuten in der Stadt. Sieg- wart verſicherte, daß er nirgends lieber ſey, als auf dem Dorf. So oft ich hier ſchlafe, fuhr er fort, geb ich ſechs Kreuzer, und, was ich eſſe, das bezahl ich beſonders. Der Bauer weigerte ſich lange, den Vertrag einzugehen, weil das, wie er ſagte, viel zu viel Geld waͤre. Auf den Abend, ſagte, Siegwart, komm ich; aber vielleicht etwas ſpaͤt, weil ich zu meiner Baſe auf das Landhaus gehe. — So, zu der Frau Held? fiel Thomas ein. Ja ja, das iſt eine ſeelengute Frau, die den Armen hier im Dorf viel Gutes thut. Sie kommt fleißig ruͤber in die Kirche, und bringt alle- mal der Armuth etwas mit. Ey, Ey! So iſt das Jhre Bas? Nun, da nimmt michs eben nicht Wunder, daß Sie auch ſo brav ſind. Sagen Sies ihr nur, daß man ſie im Dorf hier recht lieb hat! Siegwart gieng aufs Landhaus, das eine klei- ne halbe Stunde vom Dorf lag. Die Fran Held ſpielte gerad im Gartenſaal auf dem Fluͤgel. Er ſchlich ſich leiſe hinein, um ſie nicht zu ſtoͤren, und ſetzte ſich zwiſchen Karolinen und Marianen aufs Kanapee. Die Tante ſpielte mit viel Wahr- heit und Ausdruck; unſre Liebenden druͤckten ſich, bey jeder empfindungsvollen Stelle die Haͤnde,

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 843. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/423>, abgerufen am 22.11.2024.