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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Schlummer, der bis den andern Morgen gegen
acht Uhr daurte, als seine Aufwärterin auf die
Kammer kam. Sie machte die Thüre leise auf,
und sah herein. Er wachte von dem Knarren der
Thüre auf. Was gibts? rief er. Wie befinden
Sie sich? fragte das Mädchen. So ziemlich! war
die Antwort; mach sie mir nur Kaffee! Dann
stand er auf, kleidete sich an, und gieng aufs Zim-
mer. Hier sah er Marianens Brief auf dem Tisch,
und Josephs seinen auf der Erde liegen. Er raffte
beyde schnell zusammen, und steckte sie ein. Er
sah sich von ohngefähr im Spiegel, und erschrack
über seine Blässe. Ach Gott, seufzte er, machs
nur bald ganz aus mit mir! -- Er wollte etwas nach-
denken, ob er kein Mittel vor sich sehe, sich und
Marianen zu retten? Aber es war ihm nicht mög-
lich, nur etwas zusammenhängendes zu denken.
Endlich setzte er sich nieder, an Kronhelm zu schrei-
ben. Mit zitternder Hand schrieb er folgendes
an ihn:
Liebster Bruder und Schwager!

Zu dir nehm ich meine Zuflucht, den einzigen, den
ich nur auf Erden habe. Das Schicksal schlägt
mich ganz Boden. Reich mir deine Hand. Aber

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Schlummer, der bis den andern Morgen gegen
acht Uhr daurte, als ſeine Aufwaͤrterin auf die
Kammer kam. Sie machte die Thuͤre leiſe auf,
und ſah herein. Er wachte von dem Knarren der
Thuͤre auf. Was gibts? rief er. Wie befinden
Sie ſich? fragte das Maͤdchen. So ziemlich! war
die Antwort; mach ſie mir nur Kaffee! Dann
ſtand er auf, kleidete ſich an, und gieng aufs Zim-
mer. Hier ſah er Marianens Brief auf dem Tiſch,
und Joſephs ſeinen auf der Erde liegen. Er raffte
beyde ſchnell zuſammen, und ſteckte ſie ein. Er
ſah ſich von ohngefaͤhr im Spiegel, und erſchrack
uͤber ſeine Blaͤſſe. Ach Gott, ſeufzte er, machs
nur bald ganz aus mit mir! — Er wollte etwas nach-
denken, ob er kein Mittel vor ſich ſehe, ſich und
Marianen zu retten? Aber es war ihm nicht moͤg-
lich, nur etwas zuſammenhaͤngendes zu denken.
Endlich ſetzte er ſich nieder, an Kronhelm zu ſchrei-
ben. Mit zitternder Hand ſchrieb er folgendes
an ihn:
Liebſter Bruder und Schwager!

Zu dir nehm ich meine Zuflucht, den einzigen, den
ich nur auf Erden habe. Das Schickſal ſchlaͤgt
mich ganz Boden. Reich mir deine Hand. Aber

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[921/0501] Schlummer, der bis den andern Morgen gegen acht Uhr daurte, als ſeine Aufwaͤrterin auf die Kammer kam. Sie machte die Thuͤre leiſe auf, und ſah herein. Er wachte von dem Knarren der Thuͤre auf. Was gibts? rief er. Wie befinden Sie ſich? fragte das Maͤdchen. So ziemlich! war die Antwort; mach ſie mir nur Kaffee! Dann ſtand er auf, kleidete ſich an, und gieng aufs Zim- mer. Hier ſah er Marianens Brief auf dem Tiſch, und Joſephs ſeinen auf der Erde liegen. Er raffte beyde ſchnell zuſammen, und ſteckte ſie ein. Er ſah ſich von ohngefaͤhr im Spiegel, und erſchrack uͤber ſeine Blaͤſſe. Ach Gott, ſeufzte er, machs nur bald ganz aus mit mir! — Er wollte etwas nach- denken, ob er kein Mittel vor ſich ſehe, ſich und Marianen zu retten? Aber es war ihm nicht moͤg- lich, nur etwas zuſammenhaͤngendes zu denken. Endlich ſetzte er ſich nieder, an Kronhelm zu ſchrei- ben. Mit zitternder Hand ſchrieb er folgendes an ihn: Liebſter Bruder und Schwager! Zu dir nehm ich meine Zuflucht, den einzigen, den ich nur auf Erden habe. Das Schickſal ſchlaͤgt mich ganz Boden. Reich mir deine Hand. Aber N n n

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 921. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/501>, abgerufen am 24.11.2024.