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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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Gedanken, daß er gar nicht mehr auf den Weg Acht
gab, und schon ziemlich tief im dicken Tannenwalde
war, als ihm einfiel, ob er wol auch auf dem
rechten Wege sey? Der Fußpfad, auf dem er gieng,
war schmal, oft verlohr er ihn, wo die Nadeln von
den Tannenbäumen häufiger lagen, fast ganz. Er
ward nun etwas besorgt, denn der Wald war dick,
daß man nirgends hinaussehen konnte. Endlich
theilte sich sein Weg, und er wuste lang nicht, wel-
chen Pfad er wählen sollte? Endlich gieng er den
zur Rechten, weil ihm nur noch dunkel im Ge-
dächtniß schwebte, daß die Frau gesagt habe, er
müsse rechter Hand gehen! Nach einer Stunde ver-
lohr sich sein Fußpfad ganz. Er gieng hin und
her, vor-und rückwärts, und fand nirgend keine
Spur. Endlich gieng er in der Ungeduld auf Ge-
rathewohl gerade fort. Der Wald ward immer
dicker, und unwegsamer, weil, neben den hohen
Fichten, viel niedriges Tannenreiß wuchs. Hören
konnt er auch weder die Glocken in einem Dorf,
noch sonst einen Laut von Menschen, weil die,
etwas laute Luft durch die Tannenwipfel wie ein
großer Strom dahin rauschte. Zuweilen machte
ihn das übrige tiefe Schweigen, die Abgeschieden-
heit von allen lebenden Geschöpfen -- denn kein Vo-



Gedanken, daß er gar nicht mehr auf den Weg Acht
gab, und ſchon ziemlich tief im dicken Tannenwalde
war, als ihm einfiel, ob er wol auch auf dem
rechten Wege ſey? Der Fußpfad, auf dem er gieng,
war ſchmal, oft verlohr er ihn, wo die Nadeln von
den Tannenbaͤumen haͤufiger lagen, faſt ganz. Er
ward nun etwas beſorgt, denn der Wald war dick,
daß man nirgends hinausſehen konnte. Endlich
theilte ſich ſein Weg, und er wuſte lang nicht, wel-
chen Pfad er waͤhlen ſollte? Endlich gieng er den
zur Rechten, weil ihm nur noch dunkel im Ge-
daͤchtniß ſchwebte, daß die Frau geſagt habe, er
muͤſſe rechter Hand gehen! Nach einer Stunde ver-
lohr ſich ſein Fußpfad ganz. Er gieng hin und
her, vor-und ruͤckwaͤrts, und fand nirgend keine
Spur. Endlich gieng er in der Ungeduld auf Ge-
rathewohl gerade fort. Der Wald ward immer
dicker, und unwegſamer, weil, neben den hohen
Fichten, viel niedriges Tannenreiß wuchs. Hoͤren
konnt er auch weder die Glocken in einem Dorf,
noch ſonſt einen Laut von Menſchen, weil die,
etwas laute Luft durch die Tannenwipfel wie ein
großer Strom dahin rauſchte. Zuweilen machte
ihn das uͤbrige tiefe Schweigen, die Abgeſchieden-
heit von allen lebenden Geſchoͤpfen — denn kein Vo-

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[939/0519] Gedanken, daß er gar nicht mehr auf den Weg Acht gab, und ſchon ziemlich tief im dicken Tannenwalde war, als ihm einfiel, ob er wol auch auf dem rechten Wege ſey? Der Fußpfad, auf dem er gieng, war ſchmal, oft verlohr er ihn, wo die Nadeln von den Tannenbaͤumen haͤufiger lagen, faſt ganz. Er ward nun etwas beſorgt, denn der Wald war dick, daß man nirgends hinausſehen konnte. Endlich theilte ſich ſein Weg, und er wuſte lang nicht, wel- chen Pfad er waͤhlen ſollte? Endlich gieng er den zur Rechten, weil ihm nur noch dunkel im Ge- daͤchtniß ſchwebte, daß die Frau geſagt habe, er muͤſſe rechter Hand gehen! Nach einer Stunde ver- lohr ſich ſein Fußpfad ganz. Er gieng hin und her, vor-und ruͤckwaͤrts, und fand nirgend keine Spur. Endlich gieng er in der Ungeduld auf Ge- rathewohl gerade fort. Der Wald ward immer dicker, und unwegſamer, weil, neben den hohen Fichten, viel niedriges Tannenreiß wuchs. Hoͤren konnt er auch weder die Glocken in einem Dorf, noch ſonſt einen Laut von Menſchen, weil die, etwas laute Luft durch die Tannenwipfel wie ein großer Strom dahin rauſchte. Zuweilen machte ihn das uͤbrige tiefe Schweigen, die Abgeſchieden- heit von allen lebenden Geſchoͤpfen — denn kein Vo-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 939. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/519>, abgerufen am 26.11.2024.