Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



Gesicht sagt dir alles; malt dir ihre ganze Seele
ab. Jch liebte sie, wie du deine Mariane liebest,
und ihr Herz war mein, wie Marianens ihrs dein
ist. Der Krieg rief mich von ihr. Meine Mutter
fieng die Briefe auf, die ich ihr aus dem Feld ge-
schrieben hatte, und sagte meiner Theuren, daß ich
untreu sey. Sie ward krank und wahnwitzig, und
schloß sich, als sie besser ward, in ein Kloster ein.
Jch kam heim; erfuhrs; glaubte nicht; verzwei-
felte, und erstach meine Mutter; und mein Eugel
starb.

Als Siegwart diese Erzählung, die der Einsied-
ler weit umständlicher vortrug, hörte; rief er aus:
Herr Jesus! Heissest du nicht Ferbinand? -- Ja,
rief der Einsiedler; kennst du mich? -- Jch kenne
dich! meine Schwester war beym Tode deines
Mädchens. Unglücklicher Mann! Jch kenne dich!
Nun so erzähl mir alles! rief der Einsiedler.
Reiß noch einmal alle Wunden meines Herzens auf!

Siegwart erzählte ihm nun alles, was ihm
seine Schwester von der Baronessin erzählt hatte.
Siehst du, rief der Einsiedler, dieser Ferdinand,
dieser Elende, dieser Verworfne bin ich! Verdamm
mich nun! Verfluch mich! Thu was du willst!
Jch bin alles werth! -- Gott, wie könnt ich das?



Geſicht ſagt dir alles; malt dir ihre ganze Seele
ab. Jch liebte ſie, wie du deine Mariane liebeſt,
und ihr Herz war mein, wie Marianens ihrs dein
iſt. Der Krieg rief mich von ihr. Meine Mutter
fieng die Briefe auf, die ich ihr aus dem Feld ge-
ſchrieben hatte, und ſagte meiner Theuren, daß ich
untreu ſey. Sie ward krank und wahnwitzig, und
ſchloß ſich, als ſie beſſer ward, in ein Kloſter ein.
Jch kam heim; erfuhrs; glaubte nicht; verzwei-
felte, und erſtach meine Mutter; und mein Eugel
ſtarb.

Als Siegwart dieſe Erzaͤhlung, die der Einſied-
ler weit umſtaͤndlicher vortrug, hoͤrte; rief er aus:
Herr Jeſus! Heiſſeſt du nicht Ferbinand? — Ja,
rief der Einſiedler; kennſt du mich? — Jch kenne
dich! meine Schweſter war beym Tode deines
Maͤdchens. Ungluͤcklicher Mann! Jch kenne dich!
Nun ſo erzaͤhl mir alles! rief der Einſiedler.
Reiß noch einmal alle Wunden meines Herzens auf!

Siegwart erzaͤhlte ihm nun alles, was ihm
ſeine Schweſter von der Baroneſſin erzaͤhlt hatte.
Siehſt du, rief der Einſiedler, dieſer Ferdinand,
dieſer Elende, dieſer Verworfne bin ich! Verdamm
mich nun! Verfluch mich! Thu was du willſt!
Jch bin alles werth! — Gott, wie koͤnnt ich das?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0530" n="950"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Ge&#x017F;icht &#x017F;agt dir alles; malt dir ihre ganze Seele<lb/>
ab. Jch liebte &#x017F;ie, wie du deine Mariane liebe&#x017F;t,<lb/>
und ihr Herz war mein, wie Marianens ihrs dein<lb/>
i&#x017F;t. Der Krieg rief mich von ihr. Meine Mutter<lb/>
fieng die Briefe auf, die ich ihr aus dem Feld ge-<lb/>
&#x017F;chrieben hatte, und &#x017F;agte meiner Theuren, daß ich<lb/>
untreu &#x017F;ey. Sie ward krank und wahnwitzig, und<lb/>
&#x017F;chloß &#x017F;ich, als &#x017F;ie be&#x017F;&#x017F;er ward, in ein Klo&#x017F;ter ein.<lb/>
Jch kam heim; erfuhrs; glaubte nicht; verzwei-<lb/>
felte, und er&#x017F;tach meine Mutter; und mein Eugel<lb/>
&#x017F;tarb.</p><lb/>
        <p>Als Siegwart die&#x017F;e Erza&#x0364;hlung, die der Ein&#x017F;ied-<lb/>
ler weit um&#x017F;ta&#x0364;ndlicher vortrug, ho&#x0364;rte; rief er aus:<lb/>
Herr Je&#x017F;us! Hei&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t du nicht Ferbinand? &#x2014; Ja,<lb/>
rief der Ein&#x017F;iedler; kenn&#x017F;t du mich? &#x2014; Jch kenne<lb/>
dich! meine Schwe&#x017F;ter war beym Tode deines<lb/>
Ma&#x0364;dchens. Unglu&#x0364;cklicher Mann! Jch kenne dich!<lb/>
Nun &#x017F;o erza&#x0364;hl mir alles! rief der Ein&#x017F;iedler.<lb/>
Reiß noch einmal alle Wunden meines Herzens auf!</p><lb/>
        <p>Siegwart erza&#x0364;hlte ihm nun alles, was ihm<lb/>
&#x017F;eine Schwe&#x017F;ter von der Barone&#x017F;&#x017F;in erza&#x0364;hlt hatte.<lb/>
Sieh&#x017F;t du, rief der Ein&#x017F;iedler, die&#x017F;er Ferdinand,<lb/>
die&#x017F;er Elende, die&#x017F;er Verworfne bin ich! Verdamm<lb/>
mich nun! Verfluch mich! Thu was du will&#x017F;t!<lb/>
Jch bin alles werth! &#x2014; Gott, wie ko&#x0364;nnt ich das?<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[950/0530] Geſicht ſagt dir alles; malt dir ihre ganze Seele ab. Jch liebte ſie, wie du deine Mariane liebeſt, und ihr Herz war mein, wie Marianens ihrs dein iſt. Der Krieg rief mich von ihr. Meine Mutter fieng die Briefe auf, die ich ihr aus dem Feld ge- ſchrieben hatte, und ſagte meiner Theuren, daß ich untreu ſey. Sie ward krank und wahnwitzig, und ſchloß ſich, als ſie beſſer ward, in ein Kloſter ein. Jch kam heim; erfuhrs; glaubte nicht; verzwei- felte, und erſtach meine Mutter; und mein Eugel ſtarb. Als Siegwart dieſe Erzaͤhlung, die der Einſied- ler weit umſtaͤndlicher vortrug, hoͤrte; rief er aus: Herr Jeſus! Heiſſeſt du nicht Ferbinand? — Ja, rief der Einſiedler; kennſt du mich? — Jch kenne dich! meine Schweſter war beym Tode deines Maͤdchens. Ungluͤcklicher Mann! Jch kenne dich! Nun ſo erzaͤhl mir alles! rief der Einſiedler. Reiß noch einmal alle Wunden meines Herzens auf! Siegwart erzaͤhlte ihm nun alles, was ihm ſeine Schweſter von der Baroneſſin erzaͤhlt hatte. Siehſt du, rief der Einſiedler, dieſer Ferdinand, dieſer Elende, dieſer Verworfne bin ich! Verdamm mich nun! Verfluch mich! Thu was du willſt! Jch bin alles werth! — Gott, wie koͤnnt ich das?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/530
Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 950. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/530>, abgerufen am 27.11.2024.