Weinend gab Siegwart den Brief seinem Kron- helm in die Hand; Er selbst gieng ans Fenster, sah gen Himmel, weinte laut, und flehte Gott um Beystand an, Matianen zu erretten! -- Rathet, Rathet! sagte er zu seinen Freunden, was ich thun muß? Der Gedanke, daß sie leidet, und um mei- netwillen leidet, ist mir unerträglich; Rathet! daß ich bald sie retten kann. Soll ich mit Gewalt sie holen, oder mit List? Jhr müst rathen! Denn ich weiß mir nicht zu helfen; Jch bin ausser mir vor Freud und Schrecken.
Um Gotteswillen, nicht mit Gewalt! riefen Kronhelm und Therese. Du würdest sie nach einer Stunde wieder verlieren, und in Ewigkeit nicht wieder sehen. Ohne Behutsamkeit und List wird sie niemahls dein. -- Jch habe schon darüber nach- gedacht, fiel Rothfels ein. Siegwart muß sich in verstelter Kleidung nahe bey dem Kloster aufhalten, und auf Zeit und Umstände passen. Es fiel mir eine List ein, als mir Pater Clemens den Brief übergab, und ich suchte die Sache sogleich bey ihm einzufädeln. Wie wärs, wenn Siegwart eine Zeit- lang als Gärtner bey mir wäre. Jch würde denn einmal mit dem Pater reden, daß er ihn im Klo- ster, wo man eben einen Gärtner nöthig hat,
Weinend gab Siegwart den Brief ſeinem Kron- helm in die Hand; Er ſelbſt gieng ans Fenſter, ſah gen Himmel, weinte laut, und flehte Gott um Beyſtand an, Matianen zu erretten! — Rathet, Rathet! ſagte er zu ſeinen Freunden, was ich thun muß? Der Gedanke, daß ſie leidet, und um mei- netwillen leidet, iſt mir unertraͤglich; Rathet! daß ich bald ſie retten kann. Soll ich mit Gewalt ſie holen, oder mit Liſt? Jhr muͤſt rathen! Denn ich weiß mir nicht zu helfen; Jch bin auſſer mir vor Freud und Schrecken.
Um Gotteswillen, nicht mit Gewalt! riefen Kronhelm und Thereſe. Du wuͤrdeſt ſie nach einer Stunde wieder verlieren, und in Ewigkeit nicht wieder ſehen. Ohne Behutſamkeit und Liſt wird ſie niemahls dein. — Jch habe ſchon daruͤber nach- gedacht, fiel Rothfels ein. Siegwart muß ſich in verſtelter Kleidung nahe bey dem Kloſter aufhalten, und auf Zeit und Umſtaͤnde paſſen. Es fiel mir eine Liſt ein, als mir Pater Clemens den Brief uͤbergab, und ich ſuchte die Sache ſogleich bey ihm einzufaͤdeln. Wie waͤrs, wenn Siegwart eine Zeit- lang als Gaͤrtner bey mir waͤre. Jch wuͤrde denn einmal mit dem Pater reden, daß er ihn im Klo- ſter, wo man eben einen Gaͤrtner noͤthig hat,
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Weinend gab Siegwart den Brief ſeinem Kron-
helm in die Hand; Er ſelbſt gieng ans Fenſter,
ſah gen Himmel, weinte laut, und flehte Gott um
Beyſtand an, Matianen zu erretten! — Rathet,
Rathet! ſagte er zu ſeinen Freunden, was ich thun
muß? Der Gedanke, daß ſie leidet, und um mei-
netwillen leidet, iſt mir unertraͤglich; Rathet! daß
ich bald ſie retten kann. Soll ich mit Gewalt ſie
holen, oder mit Liſt? Jhr muͤſt rathen! Denn ich
weiß mir nicht zu helfen; Jch bin auſſer mir vor
Freud und Schrecken.
Um Gotteswillen, nicht mit Gewalt! riefen
Kronhelm und Thereſe. Du wuͤrdeſt ſie nach einer
Stunde wieder verlieren, und in Ewigkeit nicht
wieder ſehen. Ohne Behutſamkeit und Liſt wird
ſie niemahls dein. — Jch habe ſchon daruͤber nach-
gedacht, fiel Rothfels ein. Siegwart muß ſich in
verſtelter Kleidung nahe bey dem Kloſter aufhalten,
und auf Zeit und Umſtaͤnde paſſen. Es fiel mir
eine Liſt ein, als mir Pater Clemens den Brief
uͤbergab, und ich ſuchte die Sache ſogleich bey ihm
einzufaͤdeln. Wie waͤrs, wenn Siegwart eine Zeit-
lang als Gaͤrtner bey mir waͤre. Jch wuͤrde denn
einmal mit dem Pater reden, daß er ihn im Klo-
ſter, wo man eben einen Gaͤrtner noͤthig hat,
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 996. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/576>, abgerufen am 22.11.2024.
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