ne Gelegenheit zu finden, sie zu sprechen, und alsdann zu entführen.
Die längst gewünschte Nacht kam. Siegwart stand im Garten, und zitterte vor Ungeduld. Nach zehn Uhr, da die Nonnen alle schon im Bett la- gen, ward die Klosterthüre, die in den Garten gieng, geöfnet. Mariane schlich sich in der Dun- kelheit, dicht am Kloster, nach dem Winkel des Gartens, wo ihr Siegwart stand. Brigitte hielt innerhalb der Thüre Wache. Er schloß sie still- schweigend in den Arm, und wäre vor übermässi- gem Entzücken fast zu Boden gesunken. -- Ach Mariane! Ach Siegwart! war alles, was die zärtlichen Verliebten sagen konnten. Nach den er- sten feurigen Umarmungen konnten sie mehr spre- chen. Gottlob! sagte er, daß ich dich wieder spre- chen kann! Bald, bald sollst du ganz mein seyn! Wie ist dir? Wie lebst du? Traurig! war die Antwort. Ach Siegwart, ohne dich! Jch muß vergehen. Oft war ich schon sehr krank. -- Bald wirds besser werden, meine Liebe! Wenig Tage noch. Hab Geduld, und hoffe! -- Ach, Sieg- wart, was ist Hofnung? Doch, ich will Geduld haben. Ach, daß ich dich wieder habe! Kaum kann ichs glauben. Siegwart, Siegwart! ach
ne Gelegenheit zu finden, ſie zu ſprechen, und alsdann zu entfuͤhren.
Die laͤngſt gewuͤnſchte Nacht kam. Siegwart ſtand im Garten, und zitterte vor Ungeduld. Nach zehn Uhr, da die Nonnen alle ſchon im Bett la- gen, ward die Kloſterthuͤre, die in den Garten gieng, geoͤfnet. Mariane ſchlich ſich in der Dun- kelheit, dicht am Kloſter, nach dem Winkel des Gartens, wo ihr Siegwart ſtand. Brigitte hielt innerhalb der Thuͤre Wache. Er ſchloß ſie ſtill- ſchweigend in den Arm, und waͤre vor uͤbermaͤſſi- gem Entzuͤcken faſt zu Boden geſunken. — Ach Mariane! Ach Siegwart! war alles, was die zaͤrtlichen Verliebten ſagen konnten. Nach den er- ſten feurigen Umarmungen konnten ſie mehr ſpre- chen. Gottlob! ſagte er, daß ich dich wieder ſpre- chen kann! Bald, bald ſollſt du ganz mein ſeyn! Wie iſt dir? Wie lebſt du? Traurig! war die Antwort. Ach Siegwart, ohne dich! Jch muß vergehen. Oft war ich ſchon ſehr krank. — Bald wirds beſſer werden, meine Liebe! Wenig Tage noch. Hab Geduld, und hoffe! — Ach, Sieg- wart, was iſt Hofnung? Doch, ich will Geduld haben. Ach, daß ich dich wieder habe! Kaum kann ichs glauben. Siegwart, Siegwart! ach
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[1009/0589]
ne Gelegenheit zu finden, ſie zu ſprechen, und
alsdann zu entfuͤhren.
Die laͤngſt gewuͤnſchte Nacht kam. Siegwart
ſtand im Garten, und zitterte vor Ungeduld. Nach
zehn Uhr, da die Nonnen alle ſchon im Bett la-
gen, ward die Kloſterthuͤre, die in den Garten
gieng, geoͤfnet. Mariane ſchlich ſich in der Dun-
kelheit, dicht am Kloſter, nach dem Winkel des
Gartens, wo ihr Siegwart ſtand. Brigitte hielt
innerhalb der Thuͤre Wache. Er ſchloß ſie ſtill-
ſchweigend in den Arm, und waͤre vor uͤbermaͤſſi-
gem Entzuͤcken faſt zu Boden geſunken. — Ach
Mariane! Ach Siegwart! war alles, was die
zaͤrtlichen Verliebten ſagen konnten. Nach den er-
ſten feurigen Umarmungen konnten ſie mehr ſpre-
chen. Gottlob! ſagte er, daß ich dich wieder ſpre-
chen kann! Bald, bald ſollſt du ganz mein ſeyn!
Wie iſt dir? Wie lebſt du? Traurig! war die
Antwort. Ach Siegwart, ohne dich! Jch muß
vergehen. Oft war ich ſchon ſehr krank. — Bald
wirds beſſer werden, meine Liebe! Wenig Tage
noch. Hab Geduld, und hoffe! — Ach, Sieg-
wart, was iſt Hofnung? Doch, ich will Geduld
haben. Ach, daß ich dich wieder habe! Kaum
kann ichs glauben. Siegwart, Siegwart! ach
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1009. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/589>, abgerufen am 21.11.2024.
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