sagte er: Jch bedaure dich unendlich. Gott was ist das für ein Schicksal! Siegwart sah seinen Schwager lang unbeweglich an. Endlich schossen ihm die Thränen in die Augen; er stand auf, und verbarg sein Gesicht an Kronhelms Busen. Bru- der, sagte er, hast du Trauerkleider? Jch bitte dich, leih sie mir! -- Kronhelm ließ sie ihm, nach langem Weigern, bringen. Siegwart zog sich ganz schwarz an, und verlangte, seine Schwester zu sprechen. Kronhelm sagte, sie schlafe noch; als aber Siegwart sich nicht abhalten lassen wollte, so sprang er voran, um seine Frau auf die trauri- ge Nachricht vorzubereiten. Therese war eben auf- gestanden, und ihr Bruder trat ins Zimmer. Er umarmte sie, sprach kein Wort, und weinte bit- terlich. Therese konnte vor Thränen auch nicht sprechen. Endlich erzählte er in wenig Worten seine ganze traurige Geschichte, und versank wieder in| Stillschweigen, und anscheinende Gefühllosig- keit.
Jm ganzen Schloß war eine allgemeine Trauer, weil Kronhelm und Therese traurig waren. Roth- fels hatte noch die Vorsicht gebraucht, Kronhelms Bedienten, Marx, nach Marienfeld zu schicken, und sich heimlich zu erkundigen, ob eine junge
ſagte er: Jch bedaure dich unendlich. Gott was iſt das fuͤr ein Schickſal! Siegwart ſah ſeinen Schwager lang unbeweglich an. Endlich ſchoſſen ihm die Thraͤnen in die Augen; er ſtand auf, und verbarg ſein Geſicht an Kronhelms Buſen. Bru- der, ſagte er, haſt du Trauerkleider? Jch bitte dich, leih ſie mir! — Kronhelm ließ ſie ihm, nach langem Weigern, bringen. Siegwart zog ſich ganz ſchwarz an, und verlangte, ſeine Schweſter zu ſprechen. Kronhelm ſagte, ſie ſchlafe noch; als aber Siegwart ſich nicht abhalten laſſen wollte, ſo ſprang er voran, um ſeine Frau auf die trauri- ge Nachricht vorzubereiten. Thereſe war eben auf- geſtanden, und ihr Bruder trat ins Zimmer. Er umarmte ſie, ſprach kein Wort, und weinte bit- terlich. Thereſe konnte vor Thraͤnen auch nicht ſprechen. Endlich erzaͤhlte er in wenig Worten ſeine ganze traurige Geſchichte, und verſank wieder in| Stillſchweigen, und anſcheinende Gefuͤhlloſig- keit.
Jm ganzen Schloß war eine allgemeine Trauer, weil Kronhelm und Thereſe traurig waren. Roth- fels hatte noch die Vorſicht gebraucht, Kronhelms Bedienten, Marx, nach Marienfeld zu ſchicken, und ſich heimlich zu erkundigen, ob eine junge
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ſagte er: Jch bedaure dich unendlich. Gott was
iſt das fuͤr ein Schickſal! Siegwart ſah ſeinen
Schwager lang unbeweglich an. Endlich ſchoſſen
ihm die Thraͤnen in die Augen; er ſtand auf, und
verbarg ſein Geſicht an Kronhelms Buſen. Bru-
der, ſagte er, haſt du Trauerkleider? Jch bitte
dich, leih ſie mir! — Kronhelm ließ ſie ihm, nach
langem Weigern, bringen. Siegwart zog ſich
ganz ſchwarz an, und verlangte, ſeine Schweſter
zu ſprechen. Kronhelm ſagte, ſie ſchlafe noch; als
aber Siegwart ſich nicht abhalten laſſen wollte,
ſo ſprang er voran, um ſeine Frau auf die trauri-
ge Nachricht vorzubereiten. Thereſe war eben auf-
geſtanden, und ihr Bruder trat ins Zimmer. Er
umarmte ſie, ſprach kein Wort, und weinte bit-
terlich. Thereſe konnte vor Thraͤnen auch nicht
ſprechen. Endlich erzaͤhlte er in wenig Worten
ſeine ganze traurige Geſchichte, und verſank wieder
in| Stillſchweigen, und anſcheinende Gefuͤhlloſig-
keit.
Jm ganzen Schloß war eine allgemeine Trauer,
weil Kronhelm und Thereſe traurig waren. Roth-
fels hatte noch die Vorſicht gebraucht, Kronhelms
Bedienten, Marx, nach Marienfeld zu ſchicken,
und ſich heimlich zu erkundigen, ob eine junge
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1019. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/599>, abgerufen am 22.11.2024.
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