öffentlich sehen! sagte er ganz ängstlich; das würd Jhnen gleich weggenommen werden. Man ist hier gar scharf. So, sagte ich, denket man hier so? und schnitt das Titelblatt heraus; und so hab ichs auch mit meinen andern Büchern gemacht. Brauch diese Vorsicht auch, mein Lieber! -- Du kannst aus diesem wenigensehen, wies hier aussieht? Beym alten und beym jungen Herrn von Jckstatt hab ich Aufwartung gemacht; das sind noch Leute, die bil- lig und vernünftig denken. Aber der junge Herr hat auch auf einer reformirten Universität, ich denk, in Marpurg studirt.
Wann nur Du hier wärest, Lieber! dann wär mir jeder Ort noch erträglich; aber so kann ichs kaum aushalten. Jch irre allein auf den Bergen herum, spreche mit mir selber laut, und wein' um Theresen und über mein Schicksal. Was macht der Engel? Das wollt ich Dich zuerst fragen. Jch hab ihren Namen in Buchen eingeschnitten und in Felsen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich dulde, und getreu sey! -- Jch sah den Himmel, der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt ich beten; noch selten konnt ichs. -- Mein Vater hat mir geschrieben, und mir fürchterlich gedroht. Jch lache seiner Drohungen. Mir kann nichts
oͤffentlich ſehen! ſagte er ganz aͤngſtlich; das wuͤrd Jhnen gleich weggenommen werden. Man iſt hier gar ſcharf. So, ſagte ich, denket man hier ſo? und ſchnitt das Titelblatt heraus; und ſo hab ichs auch mit meinen andern Buͤchern gemacht. Brauch dieſe Vorſicht auch, mein Lieber! — Du kannſt aus dieſem wenigenſehen, wies hier ausſieht? Beym alten und beym jungen Herrn von Jckſtatt hab ich Aufwartung gemacht; das ſind noch Leute, die bil- lig und vernuͤnftig denken. Aber der junge Herr hat auch auf einer reformirten Univerſitaͤt, ich denk, in Marpurg ſtudirt.
Wann nur Du hier waͤreſt, Lieber! dann waͤr mir jeder Ort noch ertraͤglich; aber ſo kann ichs kaum aushalten. Jch irre allein auf den Bergen herum, ſpreche mit mir ſelber laut, und wein’ um Thereſen und uͤber mein Schickſal. Was macht der Engel? Das wollt ich Dich zuerſt fragen. Jch hab ihren Namen in Buchen eingeſchnitten und in Felſen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich dulde, und getreu ſey! — Jch ſah den Himmel, der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt ich beten; noch ſelten konnt ichs. — Mein Vater hat mir geſchrieben, und mir fuͤrchterlich gedroht. Jch lache ſeiner Drohungen. Mir kann nichts
<TEI><text><body><divn="1"><p><floatingText><body><divtype="letter"><p><pbfacs="#f0066"n="486"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
oͤffentlich ſehen! ſagte er ganz aͤngſtlich; das wuͤrd<lb/>
Jhnen gleich weggenommen werden. Man iſt<lb/>
hier gar ſcharf. So, ſagte ich, denket man hier ſo?<lb/>
und ſchnitt das Titelblatt heraus; und ſo hab ichs<lb/>
auch mit meinen andern Buͤchern gemacht. Brauch<lb/>
dieſe Vorſicht auch, mein Lieber! — Du kannſt<lb/>
aus dieſem wenigenſehen, wies hier ausſieht? Beym<lb/>
alten und beym jungen Herrn von Jckſtatt hab ich<lb/>
Aufwartung gemacht; das ſind noch Leute, die bil-<lb/>
lig und vernuͤnftig denken. Aber der junge Herr<lb/>
hat auch auf einer reformirten Univerſitaͤt, ich denk,<lb/>
in Marpurg ſtudirt.</p><lb/><p>Wann nur Du hier waͤreſt, Lieber! dann waͤr<lb/>
mir jeder Ort noch ertraͤglich; aber ſo kann ichs<lb/>
kaum aushalten. Jch irre allein auf den Bergen<lb/>
herum, ſpreche mit mir ſelber laut, und wein’ um<lb/>
Thereſen und uͤber mein Schickſal. Was macht<lb/>
der Engel? Das wollt ich Dich zuerſt fragen. Jch<lb/>
hab ihren Namen in Buchen eingeſchnitten und in<lb/>
Felſen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich<lb/>
dulde, und getreu ſey! — Jch ſah den Himmel,<lb/>
der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt<lb/>
ich beten; noch ſelten konnt ichs. — Mein Vater<lb/>
hat mir geſchrieben, und mir fuͤrchterlich gedroht.<lb/>
Jch lache ſeiner Drohungen. Mir kann nichts<lb/></p></div></body></floatingText></p></div></body></text></TEI>
[486/0066]
oͤffentlich ſehen! ſagte er ganz aͤngſtlich; das wuͤrd
Jhnen gleich weggenommen werden. Man iſt
hier gar ſcharf. So, ſagte ich, denket man hier ſo?
und ſchnitt das Titelblatt heraus; und ſo hab ichs
auch mit meinen andern Buͤchern gemacht. Brauch
dieſe Vorſicht auch, mein Lieber! — Du kannſt
aus dieſem wenigenſehen, wies hier ausſieht? Beym
alten und beym jungen Herrn von Jckſtatt hab ich
Aufwartung gemacht; das ſind noch Leute, die bil-
lig und vernuͤnftig denken. Aber der junge Herr
hat auch auf einer reformirten Univerſitaͤt, ich denk,
in Marpurg ſtudirt.
Wann nur Du hier waͤreſt, Lieber! dann waͤr
mir jeder Ort noch ertraͤglich; aber ſo kann ichs
kaum aushalten. Jch irre allein auf den Bergen
herum, ſpreche mit mir ſelber laut, und wein’ um
Thereſen und uͤber mein Schickſal. Was macht
der Engel? Das wollt ich Dich zuerſt fragen. Jch
hab ihren Namen in Buchen eingeſchnitten und in
Felſen geritzt an der Donau. Schreib ihr, daß ich
dulde, und getreu ſey! — Jch ſah den Himmel,
der ihr Dorf umzieht, und weinte. Damals konnt
ich beten; noch ſelten konnt ichs. — Mein Vater
hat mir geſchrieben, und mir fuͤrchterlich gedroht.
Jch lache ſeiner Drohungen. Mir kann nichts
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/66>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.