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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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scheine, nach Umständen, ziemlich ruhig. Dieß
schrieb er nur, um seinen Freund zu schonen. Aber
im Grunde war Therese sehr elend. Sie hatte
ihm kürzlich, in Absicht auf Kronhelm, folgendes
geschrieben:

-- Jch kann Jhn nicht vergessen. Tag und
Nacht schwebt er mir vor Augen: Das Andenken
an die seligsten von allen Tagen quält mich ganze
Nächte durch, und raubt mir den Schlaf, die ein-
zige Wohlthat, die der Leidende hienieden bat. Jch
fühls durch mein ganzes Wesen, daß nur Er, der
Einzige, mich meiner Qual entreissen, und mich
wieder glücklich machen könnte. Aber ich kann und
will ihn nicht besitzen! Jch würde seine Hand aus-
schlagen, wenn er sie mir heut anböte, denn er soll
durch mich nicht auf sein ganzes Leben unglücklich
werden. Jch weis, sein Vater und seine Verwand-
ten würden ihn durch Spott und Verachtung zu
Tode quälen. Jch wär eine Schlange an seinem
Busen, die er mit seinem eignen Leben nährte.
Schreib ihm, aber nicht gerade zu, daß er alle
Hofnung aufgiebt! Jch will nie die Seinige wer-
den! Er soll mich vergessen! Gott! wie ist das
Wort so hart! Aber schreib ihms doch! Vielleicht
thut ers, und das wollt ich, denn es würd mich



ſcheine, nach Umſtaͤnden, ziemlich ruhig. Dieß
ſchrieb er nur, um ſeinen Freund zu ſchonen. Aber
im Grunde war Thereſe ſehr elend. Sie hatte
ihm kuͤrzlich, in Abſicht auf Kronhelm, folgendes
geſchrieben:

— Jch kann Jhn nicht vergeſſen. Tag und
Nacht ſchwebt er mir vor Augen: Das Andenken
an die ſeligſten von allen Tagen quaͤlt mich ganze
Naͤchte durch, und raubt mir den Schlaf, die ein-
zige Wohlthat, die der Leidende hienieden bat. Jch
fuͤhls durch mein ganzes Weſen, daß nur Er, der
Einzige, mich meiner Qual entreiſſen, und mich
wieder gluͤcklich machen koͤnnte. Aber ich kann und
will ihn nicht beſitzen! Jch wuͤrde ſeine Hand aus-
ſchlagen, wenn er ſie mir heut anboͤte, denn er ſoll
durch mich nicht auf ſein ganzes Leben ungluͤcklich
werden. Jch weis, ſein Vater und ſeine Verwand-
ten wuͤrden ihn durch Spott und Verachtung zu
Tode quaͤlen. Jch waͤr eine Schlange an ſeinem
Buſen, die er mit ſeinem eignen Leben naͤhrte.
Schreib ihm, aber nicht gerade zu, daß er alle
Hofnung aufgiebt! Jch will nie die Seinige wer-
den! Er ſoll mich vergeſſen! Gott! wie iſt das
Wort ſo hart! Aber ſchreib ihms doch! Vielleicht
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[488/0068] ſcheine, nach Umſtaͤnden, ziemlich ruhig. Dieß ſchrieb er nur, um ſeinen Freund zu ſchonen. Aber im Grunde war Thereſe ſehr elend. Sie hatte ihm kuͤrzlich, in Abſicht auf Kronhelm, folgendes geſchrieben: — Jch kann Jhn nicht vergeſſen. Tag und Nacht ſchwebt er mir vor Augen: Das Andenken an die ſeligſten von allen Tagen quaͤlt mich ganze Naͤchte durch, und raubt mir den Schlaf, die ein- zige Wohlthat, die der Leidende hienieden bat. Jch fuͤhls durch mein ganzes Weſen, daß nur Er, der Einzige, mich meiner Qual entreiſſen, und mich wieder gluͤcklich machen koͤnnte. Aber ich kann und will ihn nicht beſitzen! Jch wuͤrde ſeine Hand aus- ſchlagen, wenn er ſie mir heut anboͤte, denn er ſoll durch mich nicht auf ſein ganzes Leben ungluͤcklich werden. Jch weis, ſein Vater und ſeine Verwand- ten wuͤrden ihn durch Spott und Verachtung zu Tode quaͤlen. Jch waͤr eine Schlange an ſeinem Buſen, die er mit ſeinem eignen Leben naͤhrte. Schreib ihm, aber nicht gerade zu, daß er alle Hofnung aufgiebt! Jch will nie die Seinige wer- den! Er ſoll mich vergeſſen! Gott! wie iſt das Wort ſo hart! Aber ſchreib ihms doch! Vielleicht thut ers, und das wollt ich, denn es wuͤrd mich

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/68>, abgerufen am 21.11.2024.