Kronhelm war lange, wie betäubt; Er sah aus dem Kutschenschlag hinaus, und doch sah er nichts, und fühlte nichts von dem Reiz der Ge- gend, über der sich nach und nach der Himmel aufklärte, und die, vom Regen erquickt, nun in hellerm Grün prangte, und den süssen Duft der Pflanzen und der Blumen rings umher ver- breitete; Siegwart war auch traurig, und wollte seinen Freund nicht stören. Endlich fieng dieser selbst zu sprechen an, und gieng die schönen Ta- ge wieder durch, die sie mit einander durchlebt hatten. Deine Schwester, sagte er, übertrifft doch alle Mädchen, die ich noch gesehen habe! Wenn sie mir nur fleissig schreibt! Sonst wird mir der Aufenthalt in der Stadt unerträglich werden. -- Sie stiegen wieder in dem Dorf, und vor dem Wirthshaus ab, wo sie neulich gewesen waren. Ein Werber saß drinn, der eben einen Bauerkerl angeworben hatte. Dieser machte grossen Lerm, und war betrunken; schimpfte auf seine Mutter, die ihm sein Mädchen nicht habe lassen wollen; dann trank er auf die Gesundheit
Kronhelm war lange, wie betaͤubt; Er ſah aus dem Kutſchenſchlag hinaus, und doch ſah er nichts, und fuͤhlte nichts von dem Reiz der Ge- gend, uͤber der ſich nach und nach der Himmel aufklaͤrte, und die, vom Regen erquickt, nun in hellerm Gruͤn prangte, und den ſuͤſſen Duft der Pflanzen und der Blumen rings umher ver- breitete; Siegwart war auch traurig, und wollte ſeinen Freund nicht ſtoͤren. Endlich fieng dieſer ſelbſt zu ſprechen an, und gieng die ſchoͤnen Ta- ge wieder durch, die ſie mit einander durchlebt hatten. Deine Schweſter, ſagte er, uͤbertrifft doch alle Maͤdchen, die ich noch geſehen habe! Wenn ſie mir nur fleiſſig ſchreibt! Sonſt wird mir der Aufenthalt in der Stadt unertraͤglich werden. — Sie ſtiegen wieder in dem Dorf, und vor dem Wirthshaus ab, wo ſie neulich geweſen waren. Ein Werber ſaß drinn, der eben einen Bauerkerl angeworben hatte. Dieſer machte groſſen Lerm, und war betrunken; ſchimpfte auf ſeine Mutter, die ihm ſein Maͤdchen nicht habe laſſen wollen; dann trank er auf die Geſundheit
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0007"n="[427]"/><p><hirendition="#in">K</hi><hirendition="#fr">ronhelm</hi> war lange, wie betaͤubt; Er ſah<lb/>
aus dem Kutſchenſchlag hinaus, und doch<lb/>ſah er nichts, und fuͤhlte nichts von dem Reiz der Ge-<lb/>
gend, uͤber der ſich nach und nach der Himmel<lb/>
aufklaͤrte, und die, vom Regen erquickt, nun<lb/>
in hellerm Gruͤn prangte, und den ſuͤſſen Duft<lb/>
der Pflanzen und der Blumen rings umher ver-<lb/>
breitete; <hirendition="#fr">Siegwart</hi> war auch traurig, und wollte<lb/>ſeinen Freund nicht ſtoͤren. Endlich fieng dieſer<lb/>ſelbſt zu ſprechen an, und gieng die ſchoͤnen Ta-<lb/>
ge wieder durch, die ſie mit einander durchlebt<lb/>
hatten. Deine Schweſter, ſagte er, uͤbertrifft<lb/>
doch alle Maͤdchen, die ich noch geſehen habe!<lb/>
Wenn ſie mir nur fleiſſig ſchreibt! Sonſt wird<lb/>
mir der Aufenthalt in der Stadt unertraͤglich<lb/>
werden. — Sie ſtiegen wieder in dem Dorf, und<lb/>
vor dem Wirthshaus ab, wo ſie neulich geweſen<lb/>
waren. Ein Werber ſaß drinn, der eben einen<lb/>
Bauerkerl angeworben hatte. Dieſer machte<lb/>
groſſen Lerm, und war betrunken; ſchimpfte auf<lb/>ſeine Mutter, die ihm ſein Maͤdchen nicht habe<lb/>
laſſen wollen; dann trank er auf die Geſundheit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[427]/0007]
Kronhelm war lange, wie betaͤubt; Er ſah
aus dem Kutſchenſchlag hinaus, und doch
ſah er nichts, und fuͤhlte nichts von dem Reiz der Ge-
gend, uͤber der ſich nach und nach der Himmel
aufklaͤrte, und die, vom Regen erquickt, nun
in hellerm Gruͤn prangte, und den ſuͤſſen Duft
der Pflanzen und der Blumen rings umher ver-
breitete; Siegwart war auch traurig, und wollte
ſeinen Freund nicht ſtoͤren. Endlich fieng dieſer
ſelbſt zu ſprechen an, und gieng die ſchoͤnen Ta-
ge wieder durch, die ſie mit einander durchlebt
hatten. Deine Schweſter, ſagte er, uͤbertrifft
doch alle Maͤdchen, die ich noch geſehen habe!
Wenn ſie mir nur fleiſſig ſchreibt! Sonſt wird
mir der Aufenthalt in der Stadt unertraͤglich
werden. — Sie ſtiegen wieder in dem Dorf, und
vor dem Wirthshaus ab, wo ſie neulich geweſen
waren. Ein Werber ſaß drinn, der eben einen
Bauerkerl angeworben hatte. Dieſer machte
groſſen Lerm, und war betrunken; ſchimpfte auf
ſeine Mutter, die ihm ſein Maͤdchen nicht habe
laſſen wollen; dann trank er auf die Geſundheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. [427]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/7>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.