Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweyter Gesang.
Also sprach er: sie schienen mit seinen Versprechungen beyde
835Hochvergnügt. Es grinzte der Tod ein scheußliches Lächeln [Spaltenumbruch] o),
Als er vernahm, ihm sollte sein Hunger gesättiget werden,
Und sein Rachen gefüllt. Nicht weniger freute sich mit ihm
Seine schuldige Mutter, die also anhub zum Vater:
Jch verwahre den Schlüssel zu diesem höllischen Abgrund
340Auf Befehl des allmächtigen Königs des Himmels. Er hat mir
Diese demantnen Pforten zu öffnen verboten; der Tod steht
Wider alle Gewalt mit seinem Wurfpfeile fertig,
Ohne Furcht von etwas, das lebt, überwältigt zu werden.
Aber was soll ich dort oben nach dessen Befehlen mich richten,
845Welcher mich haßt, und vom Himmel in diese Tiefen herunter
Jn des Tartarus Nacht mich warf; allhier in dem Abgrund
Einen verhaßten Dienst zu verwalten? Jch, die ich den Himmel
Ehmals bewohnt, gebohren im Himmel, ich soll hier, verbannet
Leben in ewiger Angst, in immerwährenden Schmerzen?
850Rund umher umzingelt von Schrecken, und wildem Geheule
Meiner eigenen Brut, die mein Eingeweide verzehren?
Du bist mein Vater, mein Schöpser; du gabst mir mein Wesen; wem sollt' ich
Sonst
o) Verschiedne Dichter haben sich
bemüht eben dieses Bild auszudrücken,
wie zum Exempel Homer S. II. VII.
212. und Statius sagt vom Tydeus,
Thebaid. VIII. 582. formidabile ri-
dens,
fürchterlich lachend, und Cow-
ley vom Goliath, Davideis Buch III.
Th' uncircumcis'd smil'd grimly
with disdain

[Spaltenumbruch] Und grimmig lächelte der Unbe-
schnittne
Verachtungsvoll herab.
Ariosto und Taßo, wie Thyer bemerkt,
drücken es sehr gut aus, aspramente
sorrise,
oder sorrise amuramente.
Doch wird man gestehn müssen, daß
sie Milton alle übertrifft. N.
Zweyter Geſang.
Alſo ſprach er: ſie ſchienen mit ſeinen Verſprechungen beyde
835Hochvergnuͤgt. Es grinzte der Tod ein ſcheußliches Laͤcheln [Spaltenumbruch] o),
Als er vernahm, ihm ſollte ſein Hunger geſaͤttiget werden,
Und ſein Rachen gefuͤllt. Nicht weniger freute ſich mit ihm
Seine ſchuldige Mutter, die alſo anhub zum Vater:
Jch verwahre den Schluͤſſel zu dieſem hoͤlliſchen Abgrund
340Auf Befehl des allmaͤchtigen Koͤnigs des Himmels. Er hat mir
Dieſe demantnen Pforten zu oͤffnen verboten; der Tod ſteht
Wider alle Gewalt mit ſeinem Wurfpfeile fertig,
Ohne Furcht von etwas, das lebt, uͤberwaͤltigt zu werden.
Aber was ſoll ich dort oben nach deſſen Befehlen mich richten,
845Welcher mich haßt, und vom Himmel in dieſe Tiefen herunter
Jn des Tartarus Nacht mich warf; allhier in dem Abgrund
Einen verhaßten Dienſt zu verwalten? Jch, die ich den Himmel
Ehmals bewohnt, gebohren im Himmel, ich ſoll hier, verbannet
Leben in ewiger Angſt, in immerwaͤhrenden Schmerzen?
850Rund umher umzingelt von Schrecken, und wildem Geheule
Meiner eigenen Brut, die mein Eingeweide verzehren?
Du biſt mein Vater, mein Schoͤpſer; du gabſt mir mein Weſen; wem ſollt’ ich
Sonſt
o) Verſchiedne Dichter haben ſich
bemuͤht eben dieſes Bild auszudruͤcken,
wie zum Exempel Homer S. II. VII.
212. und Statius ſagt vom Tydeus,
Thebaid. VIII. 582. formidabile ri-
dens,
fuͤrchterlich lachend, und Cow-
ley vom Goliath, Davideis Buch III.
Th’ uncircumcis’d ſmil’d grimly
with disdain

[Spaltenumbruch] Und grimmig laͤchelte der Unbe-
ſchnittne
Verachtungsvoll herab.
Arioſto und Taßo, wie Thyer bemerkt,
druͤcken es ſehr gut aus, aſpramente
ſorriſe,
oder ſorriſe amuramente.
Doch wird man geſtehn muͤſſen, daß
ſie Milton alle uͤbertrifft. N.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0103" n="87"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweyter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="21">
            <l>Al&#x017F;o &#x017F;prach er: &#x017F;ie &#x017F;chienen mit &#x017F;einen Ver&#x017F;prechungen beyde</l><lb/>
            <l><note place="left">835</note>Hochvergnu&#x0364;gt. Es grinzte der <hi rendition="#fr">Tod</hi> ein &#x017F;cheußliches La&#x0364;cheln <cb/>
<note place="foot" n="o)">Ver&#x017F;chiedne Dichter haben &#x017F;ich<lb/>
bemu&#x0364;ht eben die&#x017F;es Bild auszudru&#x0364;cken,<lb/>
wie zum Exempel Homer S. <hi rendition="#aq">II. VII.</hi><lb/>
212. und Statius &#x017F;agt vom <hi rendition="#aq">Tydeus,<lb/>
Thebaid. VIII. 582. formidabile ri-<lb/>
dens,</hi> fu&#x0364;rchterlich lachend, und Cow-<lb/>
ley vom Goliath, <hi rendition="#aq">Davideis</hi> Buch <hi rendition="#aq">III.<lb/>
Th&#x2019; uncircumcis&#x2019;d &#x017F;mil&#x2019;d grimly<lb/><hi rendition="#et">with disdain</hi></hi><lb/><cb/>
Und grimmig la&#x0364;chelte der Unbe-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chnittne</hi><lb/>
Verachtungsvoll herab.<lb/>
Ario&#x017F;to und Taßo, wie Thyer bemerkt,<lb/>
dru&#x0364;cken es &#x017F;ehr gut aus, <hi rendition="#aq">a&#x017F;pramente<lb/>
&#x017F;orri&#x017F;e,</hi> oder <hi rendition="#aq">&#x017F;orri&#x017F;e amuramente.</hi><lb/>
Doch wird man ge&#x017F;tehn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
&#x017F;ie Milton alle u&#x0364;bertrifft. <hi rendition="#fr">N.</hi></note>,</l><lb/>
            <l>Als er vernahm, ihm &#x017F;ollte &#x017F;ein Hunger ge&#x017F;a&#x0364;ttiget werden,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ein Rachen gefu&#x0364;llt. Nicht weniger freute &#x017F;ich mit ihm</l><lb/>
            <l>Seine &#x017F;chuldige Mutter, die al&#x017F;o anhub zum Vater:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="22">
            <l>Jch verwahre den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el zu die&#x017F;em ho&#x0364;lli&#x017F;chen Abgrund</l><lb/>
            <l><note place="left">340</note>Auf Befehl des allma&#x0364;chtigen Ko&#x0364;nigs des Himmels. Er hat mir</l><lb/>
            <l>Die&#x017F;e demantnen Pforten zu o&#x0364;ffnen verboten; der <hi rendition="#fr">Tod</hi> &#x017F;teht</l><lb/>
            <l>Wider alle Gewalt mit &#x017F;einem Wurfpfeile fertig,</l><lb/>
            <l>Ohne Furcht von etwas, das lebt, u&#x0364;berwa&#x0364;ltigt zu werden.</l><lb/>
            <l>Aber was &#x017F;oll ich dort oben nach de&#x017F;&#x017F;en Befehlen mich richten,</l><lb/>
            <l><note place="left">845</note>Welcher mich haßt, und vom Himmel in die&#x017F;e Tiefen herunter</l><lb/>
            <l>Jn des <hi rendition="#fr">Tartarus</hi> Nacht mich warf; allhier in dem Abgrund</l><lb/>
            <l>Einen verhaßten Dien&#x017F;t zu verwalten? Jch, die ich den Himmel</l><lb/>
            <l>Ehmals bewohnt, gebohren im Himmel, ich &#x017F;oll hier, verbannet</l><lb/>
            <l>Leben in ewiger Ang&#x017F;t, in immerwa&#x0364;hrenden Schmerzen?</l><lb/>
            <l><note place="left">850</note>Rund umher umzingelt von Schrecken, und wildem Geheule</l><lb/>
            <l>Meiner eigenen Brut, die mein Eingeweide verzehren?</l><lb/>
            <l>Du bi&#x017F;t mein Vater, mein Scho&#x0364;p&#x017F;er; du gab&#x017F;t mir mein We&#x017F;en; wem &#x017F;ollt&#x2019; ich</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Son&#x017F;t</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0103] Zweyter Geſang. Alſo ſprach er: ſie ſchienen mit ſeinen Verſprechungen beyde Hochvergnuͤgt. Es grinzte der Tod ein ſcheußliches Laͤcheln o), Als er vernahm, ihm ſollte ſein Hunger geſaͤttiget werden, Und ſein Rachen gefuͤllt. Nicht weniger freute ſich mit ihm Seine ſchuldige Mutter, die alſo anhub zum Vater: Jch verwahre den Schluͤſſel zu dieſem hoͤlliſchen Abgrund Auf Befehl des allmaͤchtigen Koͤnigs des Himmels. Er hat mir Dieſe demantnen Pforten zu oͤffnen verboten; der Tod ſteht Wider alle Gewalt mit ſeinem Wurfpfeile fertig, Ohne Furcht von etwas, das lebt, uͤberwaͤltigt zu werden. Aber was ſoll ich dort oben nach deſſen Befehlen mich richten, Welcher mich haßt, und vom Himmel in dieſe Tiefen herunter Jn des Tartarus Nacht mich warf; allhier in dem Abgrund Einen verhaßten Dienſt zu verwalten? Jch, die ich den Himmel Ehmals bewohnt, gebohren im Himmel, ich ſoll hier, verbannet Leben in ewiger Angſt, in immerwaͤhrenden Schmerzen? Rund umher umzingelt von Schrecken, und wildem Geheule Meiner eigenen Brut, die mein Eingeweide verzehren? Du biſt mein Vater, mein Schoͤpſer; du gabſt mir mein Weſen; wem ſollt’ ich Sonſt o) Verſchiedne Dichter haben ſich bemuͤht eben dieſes Bild auszudruͤcken, wie zum Exempel Homer S. II. VII. 212. und Statius ſagt vom Tydeus, Thebaid. VIII. 582. formidabile ri- dens, fuͤrchterlich lachend, und Cow- ley vom Goliath, Davideis Buch III. Th’ uncircumcis’d ſmil’d grimly with disdain Und grimmig laͤchelte der Unbe- ſchnittne Verachtungsvoll herab. Arioſto und Taßo, wie Thyer bemerkt, druͤcken es ſehr gut aus, aſpramente ſorriſe, oder ſorriſe amuramente. Doch wird man geſtehn muͤſſen, daß ſie Milton alle uͤbertrifft. N.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/103
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/103>, abgerufen am 21.11.2024.