Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.
95Er, und sein ganzes treulos Geschlecht. Und was ist die Ursach,
Wer hat Schuld, als er selbst? Er hatte, der Undankbare,
Was er von mir nur haben konnte. Gerecht und aufrichtig
Schuf ich ihn; vermögend zu stehn, doch frey auch, zu fallen.
Und so hab ich sie alle geschaffen, die Geister des Himmels,
100Beyde die stunden, und fielen. Frey stunden die, welche gestanden,
Und frey fielen die, welche gefalln. Wie konnt ich von ihnen,
Ohne Freyheit, aufrichtige Proben von treuem Gehorsam
Oder beständiger Lieb' erwarten, wofern sie nur thaten,
Was sie thun mußten, und nicht was sie wollten? Wie konnten von mir sie
105Einiges Lob verlangen? Was konnt ich an solchem Gehorsam
Für Gefallen empfinden, an solchem gezwungnen Gehorsam
Wo die Vernunft, (Vernunft auch ist Wahl) und mit ihr der Wille,
Beyde vergeblich, unnützlich, der Freyheit beyde beraubet,
Beyde nur leidend gemacht, der bloßen Nothwendigkeit dienten
110Und nicht mir. Jch habe sie also mit Recht so erschaffen,
Und sie können mit Grunde nicht ihren Schöpfer verklagen,
Jhre Schöpfung, oder ihr Schicksal; daß ihren Willen
Eine Vorherbestimmung, ein unwidertreiblicher Rathschluß,
Oder hohes Vorwissen zwang. Sie selber beschlossen
115Jhren Abfall, nicht ich; wußt ich vorher ihn i), so hatt' es
Keinen Einfluß in ihren Fehler, der immer erfolgte,
Wenn ich auch nicht vorher ihn gewußt. So sind sie gefallen
Ohne den mindesten Antrieb, ohn' einigen Schatten vom Schicksal

Oder
i) Dies soll nicht die geringste Ungewißheit anzeigen, sondern bedeutet
nur, ob ich gleich vorher ihn gewußt. N.

Das verlohrne Paradies.
95Er, und ſein ganzes treulos Geſchlecht. Und was iſt die Urſach,
Wer hat Schuld, als er ſelbſt? Er hatte, der Undankbare,
Was er von mir nur haben konnte. Gerecht und aufrichtig
Schuf ich ihn; vermoͤgend zu ſtehn, doch frey auch, zu fallen.
Und ſo hab ich ſie alle geſchaffen, die Geiſter des Himmels,
100Beyde die ſtunden, und fielen. Frey ſtunden die, welche geſtanden,
Und frey fielen die, welche gefalln. Wie konnt ich von ihnen,
Ohne Freyheit, aufrichtige Proben von treuem Gehorſam
Oder beſtaͤndiger Lieb’ erwarten, wofern ſie nur thaten,
Was ſie thun mußten, und nicht was ſie wollten? Wie konnten von mir ſie
105Einiges Lob verlangen? Was konnt ich an ſolchem Gehorſam
Fuͤr Gefallen empfinden, an ſolchem gezwungnen Gehorſam
Wo die Vernunft, (Vernunft auch iſt Wahl) und mit ihr der Wille,
Beyde vergeblich, unnuͤtzlich, der Freyheit beyde beraubet,
Beyde nur leidend gemacht, der bloßen Nothwendigkeit dienten
110Und nicht mir. Jch habe ſie alſo mit Recht ſo erſchaffen,
Und ſie koͤnnen mit Grunde nicht ihren Schoͤpfer verklagen,
Jhre Schoͤpfung, oder ihr Schickſal; daß ihren Willen
Eine Vorherbeſtimmung, ein unwidertreiblicher Rathſchluß,
Oder hohes Vorwiſſen zwang. Sie ſelber beſchloſſen
115Jhren Abfall, nicht ich; wußt ich vorher ihn i), ſo hatt’ es
Keinen Einfluß in ihren Fehler, der immer erfolgte,
Wenn ich auch nicht vorher ihn gewußt. So ſind ſie gefallen
Ohne den mindeſten Antrieb, ohn’ einigen Schatten vom Schickſal

Oder
i) Dies ſoll nicht die geringſte Ungewißheit anzeigen, ſondern bedeutet
nur, ob ich gleich vorher ihn gewußt. N.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="3">
            <pb facs="#f0122" n="104"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/>
            <l><note place="left">95</note>Er, und &#x017F;ein ganzes treulos Ge&#x017F;chlecht. Und was i&#x017F;t die Ur&#x017F;ach,</l><lb/>
            <l>Wer hat Schuld, als er &#x017F;elb&#x017F;t? Er hatte, der Undankbare,</l><lb/>
            <l>Was er von mir nur haben konnte. Gerecht und aufrichtig</l><lb/>
            <l>Schuf ich ihn; vermo&#x0364;gend zu &#x017F;tehn, doch frey auch, zu fallen.</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;o hab ich &#x017F;ie alle ge&#x017F;chaffen, die Gei&#x017F;ter des Himmels,</l><lb/>
            <l><note place="left">100</note>Beyde die &#x017F;tunden, und fielen. Frey &#x017F;tunden die, welche ge&#x017F;tanden,</l><lb/>
            <l>Und frey fielen die, welche gefalln. Wie konnt ich von ihnen,</l><lb/>
            <l>Ohne Freyheit, aufrichtige Proben von treuem Gehor&#x017F;am</l><lb/>
            <l>Oder be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Lieb&#x2019; erwarten, wofern &#x017F;ie nur thaten,</l><lb/>
            <l>Was &#x017F;ie thun mußten, und nicht was &#x017F;ie wollten? Wie konnten von mir &#x017F;ie</l><lb/>
            <l><note place="left">105</note>Einiges Lob verlangen? Was konnt ich an &#x017F;olchem Gehor&#x017F;am</l><lb/>
            <l>Fu&#x0364;r Gefallen empfinden, an &#x017F;olchem gezwungnen Gehor&#x017F;am</l><lb/>
            <l>Wo die Vernunft, (Vernunft auch i&#x017F;t Wahl) und mit ihr der Wille,</l><lb/>
            <l>Beyde vergeblich, unnu&#x0364;tzlich, der Freyheit beyde beraubet,</l><lb/>
            <l>Beyde nur leidend gemacht, der bloßen Nothwendigkeit dienten</l><lb/>
            <l><note place="left">110</note>Und nicht mir. Jch habe &#x017F;ie al&#x017F;o mit Recht &#x017F;o er&#x017F;chaffen,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ie ko&#x0364;nnen mit Grunde nicht ihren Scho&#x0364;pfer verklagen,</l><lb/>
            <l>Jhre Scho&#x0364;pfung, oder ihr Schick&#x017F;al; daß ihren Willen</l><lb/>
            <l>Eine Vorherbe&#x017F;timmung, ein unwidertreiblicher Rath&#x017F;chluß,</l><lb/>
            <l>Oder hohes Vorwi&#x017F;&#x017F;en zwang. Sie &#x017F;elber be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
            <l><note place="left">115</note>Jhren Abfall, nicht ich; wußt ich vorher ihn <note place="foot" n="i)">Dies &#x017F;oll nicht die gering&#x017F;te Ungewißheit anzeigen, &#x017F;ondern bedeutet<lb/>
nur, ob ich gleich vorher ihn gewußt. <hi rendition="#fr">N.</hi></note>, &#x017F;o hatt&#x2019; es</l><lb/>
            <l>Keinen Einfluß in ihren Fehler, der immer erfolgte,</l><lb/>
            <l>Wenn ich auch nicht vorher ihn gewußt. So &#x017F;ind &#x017F;ie gefallen</l><lb/>
            <l>Ohne den minde&#x017F;ten Antrieb, ohn&#x2019; einigen Schatten vom Schick&#x017F;al</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Oder</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0122] Das verlohrne Paradies. Er, und ſein ganzes treulos Geſchlecht. Und was iſt die Urſach, Wer hat Schuld, als er ſelbſt? Er hatte, der Undankbare, Was er von mir nur haben konnte. Gerecht und aufrichtig Schuf ich ihn; vermoͤgend zu ſtehn, doch frey auch, zu fallen. Und ſo hab ich ſie alle geſchaffen, die Geiſter des Himmels, Beyde die ſtunden, und fielen. Frey ſtunden die, welche geſtanden, Und frey fielen die, welche gefalln. Wie konnt ich von ihnen, Ohne Freyheit, aufrichtige Proben von treuem Gehorſam Oder beſtaͤndiger Lieb’ erwarten, wofern ſie nur thaten, Was ſie thun mußten, und nicht was ſie wollten? Wie konnten von mir ſie Einiges Lob verlangen? Was konnt ich an ſolchem Gehorſam Fuͤr Gefallen empfinden, an ſolchem gezwungnen Gehorſam Wo die Vernunft, (Vernunft auch iſt Wahl) und mit ihr der Wille, Beyde vergeblich, unnuͤtzlich, der Freyheit beyde beraubet, Beyde nur leidend gemacht, der bloßen Nothwendigkeit dienten Und nicht mir. Jch habe ſie alſo mit Recht ſo erſchaffen, Und ſie koͤnnen mit Grunde nicht ihren Schoͤpfer verklagen, Jhre Schoͤpfung, oder ihr Schickſal; daß ihren Willen Eine Vorherbeſtimmung, ein unwidertreiblicher Rathſchluß, Oder hohes Vorwiſſen zwang. Sie ſelber beſchloſſen Jhren Abfall, nicht ich; wußt ich vorher ihn i), ſo hatt’ es Keinen Einfluß in ihren Fehler, der immer erfolgte, Wenn ich auch nicht vorher ihn gewußt. So ſind ſie gefallen Ohne den mindeſten Antrieb, ohn’ einigen Schatten vom Schickſal Oder i) Dies ſoll nicht die geringſte Ungewißheit anzeigen, ſondern bedeutet nur, ob ich gleich vorher ihn gewußt. N.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/122
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/122>, abgerufen am 03.05.2024.