Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Gesang.
Wieder verderben? So würde, Gott, deine Größ' und Gnade
Zweifelhaft seyn, und man würde sie unvertheidiget lästern.

Also sprach er. Der große Schöpfer erwiedert ihm also:
160O mein einiger Sohn, den meine Seele besonders
Liebt; Sohn meines Busens, Sohn, der du alleine
Meine Weisheit, mein Wort, und meine wirksame Macht bist;
Alles hast du gesprochen nach meinen Gedanken, und alles
Wie es mein ewiger Rathschluß beschlossen. Nicht gänzlich verlohren
165Soll der Mensch seyn; wer will, sey errettet; doch nicht durch den eignen
Willen in ihm, allein durch meine freywillige Gnade,
Der ich ihn würdge. Noch einmal will ich die gefallenen Kräfte
Jn ihm erneuern, obgleich durch die Sünde verwirkt, und gefesselt
Von unmäßgen Begierden; er soll noch einmal gestärket,
170Durch mich aufgerichtet, mit seinem Todtfeinde kämpfen.
Aufgerichtet durch mich! damit er erkenne, wie schwach er
Jn dem gefallnen Zustand ist, und seine Befreyung,
Seine ganze Befreyung mir schuldig sey, mir, und sonst keinem.
Einige hab ich erwählt, aus besondern Gnaden erwählet
175Vor den übrigen allen, so ist es mein Wille. Die andern
Sollen von mir oft gewarnt in ihrem sündlichen Zustand
Oft mich rufen hören, damit sie die zürnende Gottheit
Zeitig versöhnen, so lange die angebotene Gnade
Sie noch einladet. Dann ich will die verfinsterten Sinnen
180Heiterer machen; und ihre verhärteten steinernen Herzen
Zum Gebet, und zur Reu, und schuldgem Gehorsam erweichen.
Zum
O 2

Dritter Geſang.
Wieder verderben? So wuͤrde, Gott, deine Groͤß’ und Gnade
Zweifelhaft ſeyn, und man wuͤrde ſie unvertheidiget laͤſtern.

Alſo ſprach er. Der große Schoͤpfer erwiedert ihm alſo:
160O mein einiger Sohn, den meine Seele beſonders
Liebt; Sohn meines Buſens, Sohn, der du alleine
Meine Weisheit, mein Wort, und meine wirkſame Macht biſt;
Alles haſt du geſprochen nach meinen Gedanken, und alles
Wie es mein ewiger Rathſchluß beſchloſſen. Nicht gaͤnzlich verlohren
165Soll der Menſch ſeyn; wer will, ſey errettet; doch nicht durch den eignen
Willen in ihm, allein durch meine freywillige Gnade,
Der ich ihn wuͤrdge. Noch einmal will ich die gefallenen Kraͤfte
Jn ihm erneuern, obgleich durch die Suͤnde verwirkt, und gefeſſelt
Von unmaͤßgen Begierden; er ſoll noch einmal geſtaͤrket,
170Durch mich aufgerichtet, mit ſeinem Todtfeinde kaͤmpfen.
Aufgerichtet durch mich! damit er erkenne, wie ſchwach er
Jn dem gefallnen Zuſtand iſt, und ſeine Befreyung,
Seine ganze Befreyung mir ſchuldig ſey, mir, und ſonſt keinem.
Einige hab ich erwaͤhlt, aus beſondern Gnaden erwaͤhlet
175Vor den uͤbrigen allen, ſo iſt es mein Wille. Die andern
Sollen von mir oft gewarnt in ihrem ſuͤndlichen Zuſtand
Oft mich rufen hoͤren, damit ſie die zuͤrnende Gottheit
Zeitig verſoͤhnen, ſo lange die angebotene Gnade
Sie noch einladet. Dann ich will die verfinſterten Sinnen
180Heiterer machen; und ihre verhaͤrteten ſteinernen Herzen
Zum Gebet, und zur Reu, und ſchuldgem Gehorſam erweichen.
Zum
O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="5">
            <pb facs="#f0125" n="107"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Dritter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Wieder verderben? So wu&#x0364;rde, Gott, deine Gro&#x0364;ß&#x2019; und Gnade</l><lb/>
            <l>Zweifelhaft &#x017F;eyn, und man wu&#x0364;rde &#x017F;ie unvertheidiget la&#x0364;&#x017F;tern.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="6">
            <l>Al&#x017F;o &#x017F;prach er. Der große Scho&#x0364;pfer erwiedert ihm al&#x017F;o:</l><lb/>
            <l><note place="left">160</note>O mein einiger Sohn, den meine Seele be&#x017F;onders</l><lb/>
            <l>Liebt; Sohn meines Bu&#x017F;ens, Sohn, der du alleine</l><lb/>
            <l>Meine Weisheit, mein Wort, und meine wirk&#x017F;ame Macht bi&#x017F;t;</l><lb/>
            <l>Alles ha&#x017F;t du ge&#x017F;prochen nach meinen Gedanken, und alles</l><lb/>
            <l>Wie es mein ewiger Rath&#x017F;chluß be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Nicht ga&#x0364;nzlich verlohren</l><lb/>
            <l><note place="left">165</note>Soll der Men&#x017F;ch &#x017F;eyn; wer will, &#x017F;ey errettet; doch nicht durch den eignen</l><lb/>
            <l>Willen in ihm, allein durch meine freywillige Gnade,</l><lb/>
            <l>Der ich ihn wu&#x0364;rdge. Noch einmal will ich die gefallenen Kra&#x0364;fte</l><lb/>
            <l>Jn ihm erneuern, obgleich durch die Su&#x0364;nde verwirkt, und gefe&#x017F;&#x017F;elt</l><lb/>
            <l>Von unma&#x0364;ßgen Begierden; er &#x017F;oll noch einmal ge&#x017F;ta&#x0364;rket,</l><lb/>
            <l><note place="left">170</note>Durch mich aufgerichtet, mit &#x017F;einem Todtfeinde ka&#x0364;mpfen.</l><lb/>
            <l>Aufgerichtet durch mich! damit er erkenne, wie &#x017F;chwach er</l><lb/>
            <l>Jn dem gefallnen Zu&#x017F;tand i&#x017F;t, und &#x017F;eine Befreyung,</l><lb/>
            <l>Seine ganze Befreyung mir &#x017F;chuldig &#x017F;ey, mir, und &#x017F;on&#x017F;t keinem.</l><lb/>
            <l>Einige hab ich erwa&#x0364;hlt, aus be&#x017F;ondern Gnaden erwa&#x0364;hlet</l><lb/>
            <l><note place="left">175</note>Vor den u&#x0364;brigen allen, &#x017F;o i&#x017F;t es mein Wille. Die andern</l><lb/>
            <l>Sollen von mir oft gewarnt in ihrem &#x017F;u&#x0364;ndlichen Zu&#x017F;tand</l><lb/>
            <l>Oft mich rufen ho&#x0364;ren, damit &#x017F;ie die zu&#x0364;rnende Gottheit</l><lb/>
            <l>Zeitig ver&#x017F;o&#x0364;hnen, &#x017F;o lange die angebotene Gnade</l><lb/>
            <l>Sie noch einladet. Dann ich will die verfin&#x017F;terten Sinnen</l><lb/>
            <l><note place="left">180</note>Heiterer machen; und ihre verha&#x0364;rteten &#x017F;teinernen Herzen</l><lb/>
            <l>Zum Gebet, und zur Reu, und &#x017F;chuldgem Gehor&#x017F;am erweichen.</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">O 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Zum</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0125] Dritter Geſang. Wieder verderben? So wuͤrde, Gott, deine Groͤß’ und Gnade Zweifelhaft ſeyn, und man wuͤrde ſie unvertheidiget laͤſtern. Alſo ſprach er. Der große Schoͤpfer erwiedert ihm alſo: O mein einiger Sohn, den meine Seele beſonders Liebt; Sohn meines Buſens, Sohn, der du alleine Meine Weisheit, mein Wort, und meine wirkſame Macht biſt; Alles haſt du geſprochen nach meinen Gedanken, und alles Wie es mein ewiger Rathſchluß beſchloſſen. Nicht gaͤnzlich verlohren Soll der Menſch ſeyn; wer will, ſey errettet; doch nicht durch den eignen Willen in ihm, allein durch meine freywillige Gnade, Der ich ihn wuͤrdge. Noch einmal will ich die gefallenen Kraͤfte Jn ihm erneuern, obgleich durch die Suͤnde verwirkt, und gefeſſelt Von unmaͤßgen Begierden; er ſoll noch einmal geſtaͤrket, Durch mich aufgerichtet, mit ſeinem Todtfeinde kaͤmpfen. Aufgerichtet durch mich! damit er erkenne, wie ſchwach er Jn dem gefallnen Zuſtand iſt, und ſeine Befreyung, Seine ganze Befreyung mir ſchuldig ſey, mir, und ſonſt keinem. Einige hab ich erwaͤhlt, aus beſondern Gnaden erwaͤhlet Vor den uͤbrigen allen, ſo iſt es mein Wille. Die andern Sollen von mir oft gewarnt in ihrem ſuͤndlichen Zuſtand Oft mich rufen hoͤren, damit ſie die zuͤrnende Gottheit Zeitig verſoͤhnen, ſo lange die angebotene Gnade Sie noch einladet. Dann ich will die verfinſterten Sinnen Heiterer machen; und ihre verhaͤrteten ſteinernen Herzen Zum Gebet, und zur Reu, und ſchuldgem Gehorſam erweichen. Zum O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/125
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/125>, abgerufen am 02.05.2024.