Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.
Einer andern Welt verhüllte Geheimniß' entfalten,
Die zu entdecken vielleicht verboten ist. Doch dir zum Besten
Jst mir dieses erlaubt; und was die Begriffe des Menschen
Uebersteigen mag, will ich dir durch die geschickte Vergleichung
560Geistiger Dinge mit irdischen Bildern zu zeichnen suchen,
Die sie am besten erklären. Und wie? wenn die Erde des Himmels
Schatten nur ist, und die irdischen Dinge den himmlischen Dingen
Untereinander mehr gleichen, als man auf Erden sich vorstellt?

Als die Welt noch nicht war, und wild noch das Chaos regierte,
565Wo sich diese Himmel itzt rollen, wo itzo die Erde
Von dem Allmächtgen gegründet auf ihrem Mittelpunkt ruhet;
War es an einem Tage, (weil auch in der Ewigkeit selber
Alles was Fortdauer hat, die Zeit in ihrer Bewegung
Nach dem gegenwärtgen, vergangnen, und künftigen, abmißt;)
570An solch einem Tag', als das große Himmelsjahr vorbringt,
Wurden auf Gottes Befehle die empyreischen Schaaren
Aller Engel zusammen berufen; sie kamen unzehlig
Vor des Allmächtigen Thron, von ihren Häuptern geführet,
Aus den Himmeln herbey; zehntausendmal tausend Paniere,
575Und Standarten und Fahnen, die zwischen der Vorhut und Nachhut
Hoch in die Luft hinströmten, und zwischen Hierarchien,
Orden, und Graden, den Unterschied machten. Sie zeigten zum Theil auch
Stralende Denkzeichen, eingestickt in ihr schimmernd Gewebe,
Zur Erinnrung erhabener Thaten von Eifer und Liebe.
580Als sie so stunden in Kreisen von unaussprechlichem Umfang,
Kreis'

Das verlohrne Paradies.
Einer andern Welt verhuͤllte Geheimniß’ entfalten,
Die zu entdecken vielleicht verboten iſt. Doch dir zum Beſten
Jſt mir dieſes erlaubt; und was die Begriffe des Menſchen
Ueberſteigen mag, will ich dir durch die geſchickte Vergleichung
560Geiſtiger Dinge mit irdiſchen Bildern zu zeichnen ſuchen,
Die ſie am beſten erklaͤren. Und wie? wenn die Erde des Himmels
Schatten nur iſt, und die irdiſchen Dinge den himmliſchen Dingen
Untereinander mehr gleichen, als man auf Erden ſich vorſtellt?

Als die Welt noch nicht war, und wild noch das Chaos regierte,
565Wo ſich dieſe Himmel itzt rollen, wo itzo die Erde
Von dem Allmaͤchtgen gegruͤndet auf ihrem Mittelpunkt ruhet;
War es an einem Tage, (weil auch in der Ewigkeit ſelber
Alles was Fortdauer hat, die Zeit in ihrer Bewegung
Nach dem gegenwaͤrtgen, vergangnen, und kuͤnftigen, abmißt;)
570An ſolch einem Tag’, als das große Himmelsjahr vorbringt,
Wurden auf Gottes Befehle die empyreiſchen Schaaren
Aller Engel zuſammen berufen; ſie kamen unzehlig
Vor des Allmaͤchtigen Thron, von ihren Haͤuptern gefuͤhret,
Aus den Himmeln herbey; zehntauſendmal tauſend Paniere,
575Und Standarten und Fahnen, die zwiſchen der Vorhut und Nachhut
Hoch in die Luft hinſtroͤmten, und zwiſchen Hierarchien,
Orden, und Graden, den Unterſchied machten. Sie zeigten zum Theil auch
Stralende Denkzeichen, eingeſtickt in ihr ſchimmernd Gewebe,
Zur Erinnrung erhabener Thaten von Eifer und Liebe.
580Als ſie ſo ſtunden in Kreiſen von unausſprechlichem Umfang,
Kreiſ’
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="36">
            <pb facs="#f0232" n="210"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/>
            <l>Einer andern Welt verhu&#x0364;llte Geheimniß&#x2019; entfalten,</l><lb/>
            <l>Die zu entdecken vielleicht verboten i&#x017F;t. Doch dir zum Be&#x017F;ten</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t mir die&#x017F;es erlaubt; und was die Begriffe des Men&#x017F;chen</l><lb/>
            <l>Ueber&#x017F;teigen mag, will ich dir durch die ge&#x017F;chickte Vergleichung</l><lb/>
            <l><note place="left">560</note>Gei&#x017F;tiger Dinge mit irdi&#x017F;chen Bildern zu zeichnen &#x017F;uchen,</l><lb/>
            <l>Die &#x017F;ie am be&#x017F;ten erkla&#x0364;ren. Und wie? wenn die Erde des Himmels</l><lb/>
            <l>Schatten nur i&#x017F;t, und die irdi&#x017F;chen Dinge den himmli&#x017F;chen Dingen</l><lb/>
            <l>Untereinander mehr gleichen, als man auf Erden &#x017F;ich vor&#x017F;tellt?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="37">
            <l>Als die Welt noch nicht war, und wild noch das Chaos regierte,</l><lb/>
            <l><note place="left">565</note>Wo &#x017F;ich die&#x017F;e Himmel itzt rollen, wo itzo die Erde</l><lb/>
            <l>Von dem Allma&#x0364;chtgen gegru&#x0364;ndet auf ihrem Mittelpunkt ruhet;</l><lb/>
            <l>War es an einem Tage, (weil auch in der Ewigkeit &#x017F;elber</l><lb/>
            <l>Alles was Fortdauer hat, die Zeit in ihrer Bewegung</l><lb/>
            <l>Nach dem gegenwa&#x0364;rtgen, vergangnen, und ku&#x0364;nftigen, abmißt;)</l><lb/>
            <l><note place="left">570</note>An &#x017F;olch einem Tag&#x2019;, als das große Himmelsjahr vorbringt,</l><lb/>
            <l>Wurden auf Gottes Befehle die empyrei&#x017F;chen Schaaren</l><lb/>
            <l>Aller Engel zu&#x017F;ammen berufen; &#x017F;ie kamen unzehlig</l><lb/>
            <l>Vor des Allma&#x0364;chtigen Thron, von ihren Ha&#x0364;uptern gefu&#x0364;hret,</l><lb/>
            <l>Aus den Himmeln herbey; zehntau&#x017F;endmal tau&#x017F;end Paniere,</l><lb/>
            <l><note place="left">575</note>Und Standarten und Fahnen, die zwi&#x017F;chen der Vorhut und Nachhut</l><lb/>
            <l>Hoch in die Luft hin&#x017F;tro&#x0364;mten, und zwi&#x017F;chen Hierarchien,</l><lb/>
            <l>Orden, und Graden, den Unter&#x017F;chied machten. Sie zeigten zum Theil auch</l><lb/>
            <l>Stralende Denkzeichen, einge&#x017F;tickt in ihr &#x017F;chimmernd Gewebe,</l><lb/>
            <l>Zur Erinnrung erhabener Thaten von Eifer und Liebe.</l><lb/>
            <l><note place="left">580</note>Als &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;tunden in Krei&#x017F;en von unaus&#x017F;prechlichem Umfang,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Krei&#x017F;&#x2019;</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0232] Das verlohrne Paradies. Einer andern Welt verhuͤllte Geheimniß’ entfalten, Die zu entdecken vielleicht verboten iſt. Doch dir zum Beſten Jſt mir dieſes erlaubt; und was die Begriffe des Menſchen Ueberſteigen mag, will ich dir durch die geſchickte Vergleichung Geiſtiger Dinge mit irdiſchen Bildern zu zeichnen ſuchen, Die ſie am beſten erklaͤren. Und wie? wenn die Erde des Himmels Schatten nur iſt, und die irdiſchen Dinge den himmliſchen Dingen Untereinander mehr gleichen, als man auf Erden ſich vorſtellt? Als die Welt noch nicht war, und wild noch das Chaos regierte, Wo ſich dieſe Himmel itzt rollen, wo itzo die Erde Von dem Allmaͤchtgen gegruͤndet auf ihrem Mittelpunkt ruhet; War es an einem Tage, (weil auch in der Ewigkeit ſelber Alles was Fortdauer hat, die Zeit in ihrer Bewegung Nach dem gegenwaͤrtgen, vergangnen, und kuͤnftigen, abmißt;) An ſolch einem Tag’, als das große Himmelsjahr vorbringt, Wurden auf Gottes Befehle die empyreiſchen Schaaren Aller Engel zuſammen berufen; ſie kamen unzehlig Vor des Allmaͤchtigen Thron, von ihren Haͤuptern gefuͤhret, Aus den Himmeln herbey; zehntauſendmal tauſend Paniere, Und Standarten und Fahnen, die zwiſchen der Vorhut und Nachhut Hoch in die Luft hinſtroͤmten, und zwiſchen Hierarchien, Orden, und Graden, den Unterſchied machten. Sie zeigten zum Theil auch Stralende Denkzeichen, eingeſtickt in ihr ſchimmernd Gewebe, Zur Erinnrung erhabener Thaten von Eifer und Liebe. Als ſie ſo ſtunden in Kreiſen von unausſprechlichem Umfang, Kreiſ’

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/232
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 1. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae. Altona, 1760, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies01_1760/232>, abgerufen am 29.04.2024.